ESSAY: Verkehrte Welt
■ Versöhnung in Südafrika — Triumph des Homeland-Modells in Europa
Nie ist der Tod eines Feindes einfach. Man feiert, es gibt Momente, in denen man sich der Gefahren und Schrecken erinnert, und dann ist da noch die Ironie dieser Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Hätte jemand auch nur in den Wintertagen des Jahres 1990 angenommen, der letzte der Romanow- Dynastie würde irgendwann 1991 St.Petersburg besuchen und dort mit dem Segen des Kreml in einer griechisch-orthodoxen Messe begrüßt — man hätte dies jenem Bereich des Wunschdenkens zugeordnet, der gemeinhin Satire, ja auch Nonsens genannt wird.
Und wer hätte schon gedacht, daß so schnell nach dem Bersten des Betons rund um das Brandenburger Tor relativ anständige Wessis sich voller Nostalgie an die guten alten Mauer- Zeiten erinnern würden? Wie kommt es, wenn die Welt sich so schnell nach vorne bewegt, daß Lebensgewohnheiten als erste auf dem Splitterhaufen der Geschichte landen?
Apartheid vergessen?
Nach einem Jahrzehnt intensiven internationalen Gewissens und Handelns, die Waffen von Sanktionen und Boykott fest in der geballten Faust, atmet die Welt erleichtert auf und blickt ab sofort in ihren eigenen Vorgarten. „Apartheid ist tot; also, was geschieht in Jugoslawien?“ Was geschieht denn nun in Jugoslawien? Hier in Südafrika sitzen wir ehemaligen Feinde um einen runden Tisch, und versuchen uns an einer Hochzeit ohne Scheidung, bis daß der Tod uns trennt. Wir beobachten den weichen Unterleib Europas, wo ein ethnischer Hexenkessel am Überlaufen ist, der die Menschen mit einer Säure aus Haß und Unverträglichkeit verätzt. „Wo sind denn hier Bush und sein Schwarzkopf?“ fragen einige. Jahrelang zeigten die USA mit dem Finger auf uns. Was haben wir unseren Schwarzen angetan! Aber sie intervenierten nicht, um der Demokratie auf die Sprünge zu helfen.
Die „Neue Weltordnung“ jedenfalls hat den Westen mit dem größten Fluch belegt: kein Feind mehr, außer dem mitten unter uns — Drogen, Rassismus, Seuchen, Verschuldung, Mittelmäßigkeit. Frieden.
Präsident F.W. de Klerk schlug für das zukünftige „nichtrassistische demokratische Südafrika“ einen neuen Regierungsstil vor: Ein Fünferrat solle sich eine rotierende Präsidentschaft über einen föderalen Einheitsstaat teilen — eine Mußheirat zwischen Zulus, Xhosa, Weißen, Indern und Mischlingen. Oh dear. Würde ihn bitte jemand über die Kroaten und Slowenen aufklären! Mit Jugoslawien verglichen, hat Südafrika ein einfaches Problem: es ist auf der verzweifelten Suche nach Demokratie. Die gab es bei uns nie — gerade nicht während des britischen Empire. 150 Jahre lang waren wir Kolonie. Die Briten machten uns weis: Demokratie ist einfach zu gut, um sie mit jedem zu teilen.
Jetzt versucht sich das geteilte Land mit angespannten Verhandlungen und einem Aderlaß selbst zu kurieren. Optimismus wird dabei so rar wie gute Nachricht. Angesichts der furchtbaren Gewalt zwischen Schwarz und Schwarz lächeln bittere Weiße und sagen: „Haben wir es euch nicht immer schon gesagt? Apartheid war nur zu dem einen Zwecke da, um die Schwarzen auseinanderzuhalten!“
Es ist zum Lachen. Während wir versuchen, eins zu werden, scheinen Mittel- und Osteuropa das Homeland-Muster übernommen zu haben. Bald schon wird jede Stadt östlich von Wien ihre eigene Oper, Armee, Flagge, ihren Präsidenten und eine Dritte-Welt-Verschuldung haben. Währenddessen wird ganz unten, am südlichsten Zipfel Afrikas, der demokratische Staat Azania unter der Führung Nelson Mandelas blühen und gedeihen. Das Unvorstellbare könnte zum Unvermeidlichen werden. Aber dann wird das Ozonloch vom Süden her auf uns zukommen und Aids von Norden. Warum nur kann niemand jemals gewinnen?
Sie sagen, Apartheid sei tot, und dies sei ein Sieg. Wenn es auch nur die Erfinder der Apartheid sind, die meinen, sie hätten ihren Frankenstein getötet. Zwei Jahre ist Nelson Mandela nun schon zurück, frei, die Welt zu bereisen. In einem Atemzug fordert er Sanktionen gegen Pretoria und bittet um Geld für seinen ANC. Kann ein alter, jetlag-geplagter Mann denn die Zukunft eines Landes verhandeln, fragen manche? Südafrika ist momentan das einzige Land auf der Welt mit einer offiziellen und einer inoffiziellen Regierung. Jeder in der Politik hat ein Auge auf ein Stück der zukünftigen Krone geworfen. Wenn nur all die machthungrigen Genossen so wären wie Nelson der Weise, ein Mann ohne Bitterkeit oder Rachegelüste; ein Gott, über unserer wankenden Welt stehend, ein Mahnmal für Mitgefühl.
Die Welt lächelte
Der Kommunismus ist tot — nur nicht in Südafrika. Hier haben wir noch eine kommunistische Partei mit marxistisch-leninistischen Zukunftsplänen. Auf ihrem jüngsten Parteitag in Johannesburg — dem ersten in fünfzig Jahren nach ihrer Wiederzulassung vergangenes Jahr — präsentierten sie voller Stolz ihre Sondergäste, Beobachter aus der UdSSR und der sowjetischen KP. Auf die Bemerkung hin, weder die UdSSR noch die KPdSU existierten noch, hieß es: „Nicht, soweit es uns betrifft.“
De Klerk übernahm die Macht aus den Händen P.W. Bothas und lächelte. Die Welt lächelte mit ihm. In den zwei Jahren seiner Herrschaft ist dieses wahrhaftige Gegenteil eines Liberalen dahin gestürmt, wovor sich die alten burischen Nationalisten immer gefürchtet hatten: bewaffnet mit der Telefonnummer von Saatchi&Saatchi, den PR-Leuten von Maggie Thatcher, ergriff dieser Gorbatschow Afrikas das Schwert und hieb brutalst ins Gestrüpp der Apartheid, schlug eine Schneise frei für die internationale Anerkennung, indem er all die sogenannten „diskriminierenden Gesetze“ aufhob.
Doch für F.W. de Klerk beginnt die eigentliche Barmherzigkeit zu Hause. Sein Sohn Willem wird ein wunderschönes Mädchen „gemischten Blutes“ heiraten — eine „Coloured“. Dem neuen Südafrika sei Dank, der Präsident wird seinen Sohn nicht hinter Schloß und Riegel bringen müssen, da dieser die Gesetze für Liebe brach!
Land der Optimisten
Die Nachrichten also sind gut, ist einmal das Blut vom Stein gewaschen. Aber irgendwie kann man sich nicht helfen, man bleibt mißtrauisch. Wem kann man trauen, wenn es keinen offiziellen Feind mehr gibt? Überall in Osteuropa sind die ehemaligen Kommunisten nun führende Kapitalisten. In Südafrika mutierten die Erfinder und Beschützer jenes Monsters namens Apartheid plötzlich zu dessen größtem Gegner. Es ist schwer, jemanden zu finden, der jemals Apartheid unterstützte. Aber irgend jemand muß doch 1948 die „Nationalpartei“ an die Macht gewählt haben, und glauben Sie mir, das war kein Schwarzer! Die Nationalpartei ist nun offen für alle Rassen. Keine Diskriminierung. Kommt also, stellt euch an und werdet Mitglieder: Schwarze bitte hier, Weiße dort und die Farbigen bitte um die Ecke!
Während also europäische Staaten und Völker sich voneinander entfernen, während in Europa all die Vorurteile und Absurditäten einer vergangenen südafrikanischen Landschaft von faschistischen Gruppen und neonazistischen Schlägern aus der Mottenkiste geholt werden, drücken wir hier im Land des Goldes und des Sonnenscheins die Daumen und hoffen auf das Beste.
Alle SüdafrikanerInnen sind Optimisten. Wir erwarten das Schlimmste, hoffend, daß das Schlimmste nie so schrecklich sein könnte, wie wir es uns vorstellen. Was können wir dann, blicken wir in die Kristallkugel, für Europa vorhersehen? Eine unbewachte Rakete, nominiert für den Oscar als der am „besten führende Mann“? Deutschland und Frankreich, wie sie den Kontinent unter sich aufteilen, während die Dänen und Holländer ihre Toiletten schrubben dürfen? Immigranten aus fernen Ländern mit Namen und Flüchtlinge aus untergegangenen Reichen ohne Initialen — eine „Flut“? Alte Demokratien, die Dinge tun, wegen derer sie uns anklagten?
Wir hier tun so, als ob die Geburt einer neuen Nation das wichtigste Problem der Welt sei. Die Zukunft Südafrikas ist sicher. Es ist nur das Vergangene, das unvorhersehbar scheint. Pieter-Dirk Uys
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