ERICH RATHFELDER ZUR LÜCKENHAFTEN ERINNERUNG AN DEN KRIEG IN BOSNIEN : Schweigen über Srebrenica
So richtig mag man sich in Deutschland nicht erinnern an den Genozid, der vor 15 Jahren in Srebrenica begangen wurde. Es mangelt zwar nicht an Informationen über das monströse Massaker von damals. Das kollektive Bewusstsein aber hat den Krieg in Bosnien, der zum Massaker von Srebrenica führte, an den Rand gedrängt.
Dabei hat das Verbrechen von Srebrenica Grundfragen an unsere Zivilisation aufgeworfen. Wie kann es in unserer Zeit möglich sein, sehenden Auges solche Gräuel zuzulassen? Warum haben die niederländischen UN-Soldaten keinen Finger gerührt, um den vom Massenmord bedrängten Menschen zu helfen? Welche Verantwortung kommt uns zu?
Erinnern wir uns: Bekannte Friedensforscher forderten damals auf der Höhe des Bosnienkriegs, den Konflikt einfach „ausbluten“ zu lassen. Repräsentanten der „linken Fraktion“ der Grünen wandten sich sogar dagegen, die humanitäre Hilfe an die hungernde Bevölkerung in Zentralbosnien unter Schutz stellen zu lassen. Und Teile der linken Szene Berlins schlugen sich gar auf die Seite der Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic.
Die Zurückhaltung der UNO spiegelte damals die Meinung der Mehrheit in vielen europäischen Gesellschaften wider. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen ist es natürlich einfacher, ihr Verhalten gegenüber den serbischen Nationalisten und die schuldhafte Blockadepolitik Russlands, Großbritanniens und Frankreichs im Weltsicherheitsrat zu kritisieren. Heute sind ja viele Erkenntnisse, die das Versagen der Politik in Europa und den USA belegen, gut dokumentiert – nicht zuletzt durch das UN-Tribunal in Den Haag.
Eine Kultur des Erinnerns zeichnet sich aber dadurch aus, welche Konsequenzen sie aus der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft zieht. Das hieße, eigene Fehler einzugestehen. Vielen Protagonisten der Diskussionen ist es aber lieber, den Mantel des Schweigens über die damaligen Geschehnisse in Bosnien zu werfen.
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