ERICH RATHFELDER ZU DEN ALBANISCHEN WAHLERGEBNISSEN : Albanien taumelt
Es ist ein Trauerspiel. Die Wahlen zeigen, wie weit Albanien noch von Europa entfernt ist. Die Crux in diesem Land ist, dass sich zwei unversöhnliche, sich blockierende und bekämpfende Lager gegenüberstehen.
Das von Exkommunisten durchsetzte sozialistische Lager ist mehr im Süden verankert, Berisha kommt aus Bajram Curi, einer nördlichen Stadt an der Grenze zu Kosovo, und gilt als konservativ. Beiden Lagern geht es schon lange nicht mehr um Ideologie. Sie nutzen die aus dem Regionalismus hervorgehenden Loyalitäten lediglich aus, um die Macht zu erhalten oder zu gewinnen.
Die Wirtschaft des Landes hat sich seit dem Sturz des Kommunismus 1991/92 kaum weiterentwickelt. Die soziale Abfederung, die Renten, die staatliche Leistungen im Gesundheitswesen und im Bildungssektor existieren fast nicht mehr. Nur wer ohnehin schon Geld hat, kann sich diese privatisierten Angebote leisten. Soziale Absicherung geht jedenfalls anders.
Auf der Strecke blieben bisher immer die „normalen“ Leute. Der größte Teil der Bevölkerung und die Minderheiten wie die Roma sind zu Stimmvieh degradiert und dürfen dann ein paar Bonbons erhaschen. An ihrer Lage ändert sich nichts. Nur das zarte Pflänzlein Zivilgesellschaft will dagegensteuern. Vor allem junge Leute aus dem städtischen Milieu Tiranas versuchen, Ruhe in die Gesellschaft zu bringen, die Blicke auf Kultur und soziale Fortschritte zu lenken und das Lagerdenken zu überwinden. Aber sofern die Jugend erfolgreich ist, bekommt sie die staatliche Knute zu spüren.
Immerhin hat der Sozialistenführer Edi Rama als Bürgermeister von Tirana einige Erfolge vorzuweisen. Ob er aber die Größe hat, nicht nur sein Lager zu bedienen, sondern die Gesellschaft als Ganze vorwärtszubringen, muss sich erst beweisen.
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