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Archiv-Artikel

EINE ROT-ROT-GRÜNE KOALITION IM BUND IST DERZEIT KEINE OPTION Wowereits windige Visionen

Der Berliner Bürgermeister spricht aus Erfahrung. In offenem Gegensatz zu seinem Parteifreund im Kanzleramt bekräftigte Klaus Wowereit gestern, dass die SPD ein Bündnis für die Linkspartei ab 2009 offen halten soll. Mit dieser Methode hatte Wowereit die Landespartei einst aus einem Jammertal erlöst, das der möglichen Lage der Bundespartei nach dem 18. September ziemlich genau entsprach. Durch die Mehrheitsverhältnisse scheinbar zur großen Koalition gezwungen, verkümmerte die Berliner SPD von Wahl zu Wahl. Ein Bündnis mit der PDS galt in der einstigen Frontstadtpartei als Tabu. Wowereit war der Erste, der diesen Glaubenssatz öffentlich in Frage stellte. Er wurde schließlich Bürgermeister.

Angesichts der Zerreißprobe, die der SPD im Falle einer großen Koalition droht, erscheint diese Variante auf den ersten Blick auch für den Bund verlockend. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass die Lage heute völlig anders ist als einst in Berlin. Damals galt die Union, effektvoll orchestriert durch den Bankenskandal, als eigentliche Verursacherin der hauptstädtischen Misere. Obendrein hatten sich SPD und PDS in den Jahren zuvor allmählich angenähert. Wowereit blendet aus, was in den vergangenen zwei Jahren im Bund geschehen ist: Die neue Linkspartei leitet ihre Existenzberechtigung einzig und allein aus dem Protest gegen die SPD-Politik der vergangenen Jahre ab, offene Rechnungen zwischen den handelnden Personen eingeschlossen. Und als Chaostruppe gilt in der allgemeinen Wahrnehmung Rot-Grün – ein Umstand, der durch die Aussicht auf ein noch weniger stabiles Dreierbündnis kaum verändert würde.

Die Beteiligten müssten für ein rot-rot-grünes Bündnis all ihre Grundsätze über Bord werfen, taktisch wäre das offene Bekenntnis zu dieser Option für die SPD völlig aussichtslos. Im Jahr 2009, da hat Wowereit Recht, sieht die Lage vielleicht schon ganz anders aus. Aber im Hinblick auf diese ferne Perspektive sollte sich Wowereit daran erinnern, nach welchem Prinzip er in Berlin einst vorgegangen ist: nicht drüber reden, sondern im Ernstfall einfach machen. RALPH BOLLMANN