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Archiv-Artikel

EIN VIELKÖPFIGER CHOR SINGT FÜR EINEN SIEBZIGJÄHRIGEN HERRN UND DIE SONNE SCHEINT AUF DEN BALKON In der besten Zeit des Jahres

VON DETLEF KUHLBRODT

Es ist die beste Zeit des Jahres. Die Tage werden immer länger, die Wochen immer kürzer; Ostern, erster Mai, Himmelfahrt – alle paar Tage gibt es ein neues Wochenende. Nach Pfingsten ist der Frühling schon wieder vorbei.

Freitagabend, halb sieben. Van Dyke Parks wird gleich im Haus der Kulturen der Welt mit den Machern der „Kalifornien“-Ausstellung sprechen. Ende der neunziger Jahre hatte mich meine damalige Mitbewohnerin mit dem berühmten Komponisten, Songwriter, Produzenten und Schauspieler bekannt gemacht. An Wochenenden nahm sie manchmal ein 32stel LSD und besaß das operettenhafte Album „Tokyo Rose“ von 1989. „Yankee Go Home“ und „Trade War“ hatte ich oft mit großer Begeisterung gehört. Drei Lieder dieses Albums befinden sich immer noch in meinen Top 25 bei iTunes.

Dyke Parks ist mittlerweise 70 und hat gerade ein neues Album. 600 Leute vielleicht sind ins Café Global gekommen, um ihn zu sehen. Parks ist ganz klein und sieht gut aus mit seinen kurzen weißen Haaren. Er erzählt, wie er als Fan der Beatpoeten Anfang der 60er Jahre nach Kalifornien kam und dort in gemütlichen Kaffeehäusern Musik gemacht hatte und wie das alles war in den 60ern. Es geht darum, wie alle auf der Suche gewesen waren, und um die „whole-earth-community“. „I think we found it“, sagt er irgendwann. Was, fragen ihn die Gesprächspartner? Einen Moment stellt man sich vor, er würde „LSD“ sagen, aber es ist dann doch etwas anderes. Sein schönster Satz: „I lost my virginity – a very happy moment“.

Zwischendurch singt er ein paar Lieder und klingt dabei so seltsam operettenhaft wie auf CD. Nachdem er gesungen hat, macht er einen Hofknicks. Zum Abschluss tritt ein von Barbara Morgenstern zusammengestellter, vielköpfiger Chor auf und singt sein Lied „Orange Crate Art“. Es ist ganz super und rührend. Danach steigt er von der Bühne und lässt sich mit den Mitgliedern des Chors fotografieren. Und gibt jedem noch ein Kärtchen, auf dem wahrscheinlich – (ich vergaß zu fragen) – steht: „Mr Van Dyke Parks apologizes for his behaviour on the night of - - - - and sincerely regrets any damage or inconvenience he may have caused.“ Diese Karte verteilt er jedenfalls seit vielen Jahren.

Am Samstag ist immer noch Bundesliga und am Nachmittag kicken wir mit ein paar Kollegen von der Autorennationalmannschaft. Sie erzählen, wie sie am Donnerstag gegen eine Traditionsmannschaft des DFB gespielt hatten. Klaus Fischer und Uli Borowka waren auch dabei und die „Autonama“ verlor 4:9. Es ist schön, wie ein kleiner Junge am Nachmittag Fußball zu spielen, zu Hause in der Sonne auf dem Balkon zu lesen, am Abend dann ins Kino zu fahren.

Nur ein kleiner alter Mann ist unterwegs und sagt vorwurfsvoll mit sächsischem Akzent: „Hier ist der Radweg und nicht da, wo Sie fahren.“ Statt Hermannstraße fahre ich die Sonnenallee, verpasse das Kino und esse stattdessen einen Burger mit Cola. Ein Mann, vermutlich Tourist, bleibt eine halbe Minute stehen, um in seinem Buch zu lesen, einem Stadtführer vermutlich, und geht dann weiter.

In der Ohlauer Straße ist das spanische Wowsville-Imperium. Erst gab es den Plattenladen, dann die Bar und dann die Pizzeria. Leider hab ich schon gegessen; bin ganz begeistert von dem Schild des Restaurants „Angry Chicken“ in der Manteuffelstraße und ende im Club39. Später kommen noch andere. Die meiste Zeit läuft Can. Wir reden über alles. Der Typ, der den Tresen gebaut hatte, war ein netter Freak aus Hessen, der es manchmal nicht übers Herz gebracht hatte, abzukassieren, und später dann zurück nach Hessen ging.