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Archiv-Artikel

EIN JODELDIPLOM, HEADBANGING VON LANGHAARIGEN IM HÖHEREN ALTER UND DIE BANGE FRAGE, WIE MAN THOMAS MANN PANTOMIMISCH BEIKOMMEN KÖNNTE So schrecklich gebildet

VON LEA STREISAND

Letzten Freitag habe ich mein Studium abgeschlossen. Nach schätzungsweise 127 Semestern mehr oder weniger regelmäßigen Universitätsbesuches bin ich jetzt eine Magistra Artium. „Herzlichen Glückwunsch zum Jodeldiplom!“, rief Christoph, als ich aus der letzten mündlichen Prüfung kam. „Jetzt hast du eine richtige Berufsausbildung“, rief Paul, mein Freund, „und die qualifiziert dich zu gar nichts.“ „Danke, Jungs“, sagte ich und freute mich sehr. Dann wurde mir kurz komisch vom Sekt, logischerweise hatte ich morgens keinen Bissen runtergekriegt und geschlafen auch mehr so ansatzweise die ganze letzte Woche. Aber nach dem Mittagsschlaf zu Hause ging’s wieder.

Vorher musste ich nur meinen Internetfreunden noch erzählen, dass ich mein Studium abgeschlossen habe. „Das sind doch die einzigen Freunde, die ich noch habe“, erklärte ich Paul. Schließlich hatte ich seit Wochen meinen Schreibtisch nicht verlassen. Paul hatte mir ab und zu einen Teller Nudeln unter der Tür durch geschoben – natürlich nur, wenn ich mein Lernpensum geschafft hatte. Reden wollte eh keiner mehr mit mir, es ging ja immer nur um die Prüfungen.

Lauter lange weiße Haare

Freitagabend war taz.berlin-Party unten im taz-Café. Wir feiern die zwölf neuen Wochenend-Seiten. Die freien Mitarbeiter stehen in einer Ecke und beratschlagen, wer jetzt mit wem schlafen soll, damit wir alle was vom Kuchen abkriegen. Wir kommen zu keinem Ergebnis. „Das Geile bei den taz-Partys“, brüllt D. mir ins Ohr, „ist, dass die alten Säcke immer am längsten durchhalten.“ Er zeigt zur Tanzfläche, wo lauter lange weiße Haare vom Headbanging geschüttelt werden. „Ich weiß nicht“, sagt M., „da hinten, der J., der ist doch erst vor ’ner Stunde gekommen.“ – „Wahrscheinlich hat er sich auf 23 Uhr den Wecker gestellt, um dann Punkt null Uhr ausgeschlafen und frisch geduscht hier aufzuschlagen“, überlege ich. „Vermutlich ja“, stimmt D. uns zu und nuckelt versonnen an seiner Bierflasche.

Ein Fremder mit Brille tritt dazu. Er kennt M. Sie unterhalten sich ein bisschen. „Und wer bist du?“, fragt er schließlich. „Lea“, sage ich. „Ah, bist du die, die heute ihr Studium abgeschlossen hat?!“, ruft er. Ich gucke ihn an. „Ich hab auch Internet“, sagt er. Ich weiß schon, warum ich die Kollegen nur mit Buchstaben nenne.

Samstag hatte Tante Erna Geburtstag. Es wurde gespielt. Mit Ausrufezeichen! Spielen ist bei uns nämlich obligatorisch. Und weil wir alle so schrecklich gebildet sind, war die Scharade nicht nur mit Filmtiteln, sondern auch mit Dramen und sonstiger Literatur.

Hat schon mal jemand versucht, „Die Buddenbrooks“ pantomimisch darzustellen? Falls ja, wäre ich für Tipps echt dankbar. Ich hab nämlich keinen blassen Schimmer, wie man einen Roman von Thomas Mann ohne Worte darstellen soll! Da gibt’s nämlich keinerlei ikonografische Szenen, die man nachspielen könnte, da wird ja nur geredet und gelitten. Als Rache hat meine Mannschaft der anderen dann „Leonce und Lena“ aufgeschrieben.

Sonntag war Zuhausetag. Mit Schlafen, Resteessen (Gulasch zum Frühstück!) und Filmegucken. Eigentlich wollte ich zum Flohmarkt fahren, aber Paul war zu fertig, Kathi musste Babysitten, Nelli war nicht da und Franzi arbeiten. Und allein mochte ich nicht. „Ich sag’s ja: Ich hab keine Freunde mehr“, sagte ich.

Ansonsten fiel noch mein Ohrstecker in den Abfluss vom Waschbecken im Bad. Paul musste den Abfluss aufschrauben und den Stecker wieder rausholen. Blöderweise bekam dabei das Abflussrohr einen Riss, deswegen tropft es jetzt im Bad und man muss sich die Hände über der Wanne waschen.

Ach ja: Ich hab mein Studium beendet! Erwähnte ich das schon?