: EG–Stahlpolitik: Sanierungskonzept im Juli
■ EG–Stahlindustrie soll Anfang der 90er Jahre wieder „lebensfähig“ sein / Alternative Wissenschaftler legten in Bonn Konzept für Stahlindustrie vor
Luxemburg (dpa/ap) - Die krisengeschüttelte Stahlindustrie der Europäischen Gemeinschaft soll nach den Erwartungen der EG– Kommission bis zum Anfang der 90er Jahre soweit umstrukturiert sein, daß sie „lebensfähig“ ist. Wie der deutsche Industriekommissar Karl–Heinz Narjes nach einem Treffen der EG–Wirtschafts– und Industrieminister am Montag in Luxemburg sagte, „ist das kein Faß ohne Boden, sondern ein schnelles Einpendeln auf ein realistisches Niveau“. Bei den Betroffenen herrsche Einigkeit darüber, daß die Überkapazitäten in der EG–Stahlindustrie bei rund 30 Millionen Tonnen liegen. Bei entsprechenden Schließungen stehen laut Narjes in den kommenden drei Jahren EG–weit (ohne Spanien und Portugal) etwa 80.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die Minister waren sich nach Angaben des Ratspräsidenten und belgischen Wirtschaftsministers, Philippe Maystadt, auch darüber einig, daß die bisher von den Unternehmen vorgeschlagenen Stillegungen nicht ausreichen, um die Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Großunternehmen der Europäischen Stahlindustrie (Eurofer) hatten vor wenigen Wochen ihren Versuch aufgegeben, im Rahmen einer gemeinsamen Sanierungsaktion freiwillig Angebote zur Schließung von Kapazitäten zu machen. Bis dahin hatten sie von zwölf bis 15 Millionen Tonnen gesprochen. Diese Schließungsangebote waren nach Angaben aus Kommissionskreisen teilweise jedoch „undurchsichtig“ und an unrealistische Bedingungen geknüpft. Die EG–Kommission hat mit dem Eurofer–Rückzug seinen Ansprechpartner in der Industrie verloren und muß nun ihrerseits Vorschläge zur Umstrukturierung ausarbeiten. Dieses Paket, das neben einem modifizierten Quotensystem auch Vorschläge für flankierende Maßnahmen im sozialen und regionalen Bereich umfassen wird, soll Mitte Juli fertiggestellt sein und dem nächsten Ministerrat Ende September zur Entscheidung vorliegen. Das bestehende Quotensystem läuft Ende dieses Jahres aus. Die Minister haben bekräftigt, daß sich die EG–Länder weiter an den sogenannten Beihilfenkodex, der die Subventionierung von Unternehmen in feste Bahnen lenken soll, halten werden. Von 1980 bis 1985 - in dieser Zeit wurden die Kapazitäten um rund 30 Millionen abgebaut und gingen etwa 175.000 Arbeitsplätze verloren - sind EG–weit über 70 Milliarden DM an Subventionen geflossen. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat ein eigenes Konzept zur Überwindung der Stahlkrise vorgelegt. Wie Vertreter der Arbeitsgruppe am Montag vor Journalisten in Bonn erläuterten, hat ihr Konzept das Ziel, alle Standorte und Arbeitsplätze in der Stahlindustrie zu sichern und „zukunftsorientierte Umstrukturierungen“ der Produktion vorzunehmen. Im einzelnen schlagen sie vor, Beschäftigungsgesellschaften zu gründen, Rationalisierungsabkommen zu schließen und die Arbeitszeit bei vollem Einkommensausgleich auf 35 Stunden in der Woche zu verkürzen. Langfristig strebt ihr Konzept die Vergesellschaftung der Stahlindustrie an. Als künftige neue Produktionsfelder der Stahlindustrie sehen die alternativen Wissenschaftler vor allem den Energie– und Umweltschutzbereich.
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