EDITORIAL : Das Fremde, die Fremden und die Projektion
Mehr Menschen als jetzt waren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht auf der Flucht. Fast 60 Millionen haben laut neuesten Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen wegen Krieg, Verfolgung oder anderer Nöte ihre Heimat verlassen. Die meisten von ihnen bleiben in der jeweiligen Region. Ein kleiner Teil versucht, eine Perspektive in Europa zu finden. In Deutschland beantragen dieses Jahr voraussichtlich 400.000 Menschen Asyl.
Die Mehrheitsgesellschaft hierzulande verändert sich durch Flucht und Migration, was viele verunsichert. Zum Teil, weil sie nicht wissen, was an Fremdem auf sie zukommt, zum Teil, weil sie Ressentiments gegenüber Fremden hegen. Und zum Teil, weil sie eigene Ängste, etwa vor dem sozialen Abstieg, auf Fremde projizieren. Umso wichtiger ist es aufseiten von Politik und Zivilgesellschaft, den Prozess der Migration sinnvoll zu moderieren und zu gestalten.
Morgen ist der internationale Tag der Flüchtlinge – Anlass für die taz, sich unserem Umgang mit ihnen in einem achtseitigen Dossier zu widmen.
Was zum Beispiel sollen Kommunen tun, wenn sie Flüchtlinge unterbringen wollen oder müssen, aber schon jetzt kein Geld mehr haben? Wie schafft man es, dass die Situation nicht von rechts instrumentalisiert wird? Um Antworten zu finden, haben wir uns in Leverkusen und Berlin umgesehen. Außerdem stellen wir ein Programm vor, mit dem Kommunen sich abzeichnenden Konflikten möglichst früh begegnen können.
Weil fast immer übers Geld geredet wird, machen wir das auch: Mit einem Ökonomen diskutieren wir, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen Migration in Deutschland hat. Außerdem streiten die Publizistin Carolin Emcke und der frühere Innenminister Otto Schily, der die geltenden Migrationsgesetze maßgeblich geprägt hat. Auch diejenigen, um die es eigentlich geht, kommen zu Wort: Sie sprechen über ihre Ängste vor dem Leben in der Fremde.
Die schwierigsten Fragen zu Flucht und Migration aber stellen wir Ihnen selbst: Wir wollen wissen, was Sie zu tun bereit wären.
GEREON ASMUTH, PATRICIA HECHT