Dutschke-Biograf über Attentäter: "Ein fürchterliches Erwachen"
Obwohl der Dutschke-Attentäter Josef Bachmann Kontakte zu Neonazis hatte, galt er lange nicht als Solcher. Der Autor und 68er-Biograf Ulrich Chaussy über die Polizeiermittlungen.
taz: Herr Chaussy, Sie sind der erste Biograf des 68er-Sprechers Rudi Dutschke. Nun hat der Publizist Tobias von Heymann herausgefunden, dass der Dutschke-Attentäter Josef Bachmann enge Kontakte zu Neonazis hatte. Das wusste auch damals schon die Polizei. Warum wurde diese Spur seinerzeit dennoch nicht näher verfolgt?
Ulrich Chaussy: Das ist ein noch aufzuklärendes Rätsel. Die damaligen Ermittlungen der Polizei waren sehr sorgfältig.
An dieser Stelle aber nicht.
An dieser Stelle nicht. Vom Neonazi und Bombenbauer Wolfgang Sachse hatte Bachmann schon einmal eine Waffe erhalten. Mit ihm hatte er auf einem Schießplatz in Peine bei Braunschweig Schießübungen gemacht. Dieser Platz war offenbar der Dreh- und Angelpunkt einer ganzen Szene von Neonazis und Waffennarren. All das wusste die Polizei.
Wollte die Polizei ihre eigene Verwicklung in diese Szene vertuschen oder hatte man Angst davor, was in dieser aufgeheizten Atmosphäre 1968 auf der Straße passieren würde, wenn herauskäme, dass Dutschke Opfer eines zumindest halb organisierten Neonazis wurde?
Darüber kann man nur spekulieren. Angesichts der Sorgfalt der Ermittlungen kann Sachse aber nicht aufgrund eines schlichten Fehlers aus den Ermittlungen herausgefallen sein. Das ist undenkbar. Wir müssen uns fragen: Was ist da geschehen mit der Polizei und der beauftragten Staatsanwaltschaft? Und wer hat aus welchen Gründen gesagt: Nein, da schauen wir nicht mehr weiter nach.
Der Journalist und Autor Ulrich Chaussy, geboren 1952 in Karlsruhe, wohnt seit 1965 in München und studierte dort Germanistik und Soziologie. Danach wurde er Hörfunkjournalist (BR, WDR, und Radio Bremen).
Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Sachbücher. Dazu gehören "Die drei Leben des Rudi Dutschke" (Ch. Links Verlag und Pendo Verlag) sowie ein wichtiges Buch zum Oktoberfestattentat 1980: "Oktoberfest. Ein Attentat" (Luchterhand). Darin widerlegt er die offiziellen Ermittlungsergebnisse ("Einzeltäterthese") zu diesem Attentat.
Sein Radiofeature "Wer zielte auf Rudi Dutschke?" wird gesendet am Samstag, den 12. 12., um 13.05 Uhr in Bayern 2. Zu hören ist es bundesweit auch im Livestream über www.br-online.de - oder nach der Sendung als Podcast.
In Ihrem Radiofeature, das am Samstag gesendet wird, vermuten Sie auch, dass V-Männer des Verfassungsschutzes geschützt werden sollten, die Kontakt zu Bachmann hatten - das erinnert fast an heutige Probleme mit dem NPD-Verbot.
Diese Erinnerung ist berechtigt. Klar ist, dass ein wichtiges Mitglied der Neonazi-Gruppe, Dieter Lepzien, ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes war - und er hat seine Kenntnisse auch später noch der Stasi angeboten! 1981 wurde Lepzien wegen Bildung einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung zu fünfeinhalb Jahren verurteilt. Was er machte, ist weit über nachrichtendienstliche Tätigkeiten hinausgegangen. Man hat ihn sehr weit gewähren lassen.
Sie haben auch ein Buch über das Oktoberfest-Attentat von 1980 geschrieben. Auch da wollten die Behörden unbedingt den Attentäter als einen Einzeltäter darstellen - sehen Sie da Parallelen zu Bachmann?
Es ist eine sehr verbreitete Übung, dass rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten immer individualisiert werden, obwohl man das Biotop dieser Leute sehr genau erforschen kann, was deren Kontakte, Aktionen und Gedanken angeht. Schreitet aber ein rechtsextremistischer Täter zur Tat, hat er sich alles angeblich allein ausgedacht. Bachmann hat an der Grenze zur DDR rumgeballert und sogar einen Grenzzaun mit einem Abschleppseil herausgerissen. Das war zuvor von seiner Neonazi-Gruppe erdacht worden. Vor Gericht aber erschien das plötzlich nur noch als Bachmanns alleinige Erfindung.
Gehen Sie davon aus, dass das Dutschke-Attentat ein von Neonazis bestelltes war?
Das kann ich mir schwer vorstellen. Als Bachmann sein Feindbild vom DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht auf Rudi Dutschke umstellte, war er nicht in seinem Umfeld in Peine, sondern im heißen Sommer 1967 in Westberlin sowie vor der Tat in München - und er bezog sich auf die rechtsextreme Presse in München. Horst Mahler, damals beim Prozess gegen Bachmann Anwalt des Nebenklägers Rudi Dutschke, gelang es aber nicht, das Gericht davon zu überzeugen, dass Bachmann direkt durch die Springer-Zeitungen für die Tat inspiriert wurde, obwohl Bachmann einräumte, auch die Bild-Zeitung gelesen zu haben.
Es ist absurd, dass ausgerechnet der damals noch linke Anwalt Mahler später eine so wichtige Figur für die NPD wurde.
Da gibt es eine ähnlich seltsame Geschichte: Es gab eine Hafthelferin, die sich um Bachmann bemühte. Sie kam eines Tages zu Mahler, um ihn um ein Bild von Dutschke zu bitten. Bachmann hatte ja selbst gemalte Bilder von Napoleon und Hitler in seinem Jugendzimmer in Peine hängen gehabt. Er hat offenbar in der Haft auch ein Bild von Dutschke gemalt.
Es gibt Hinweise darauf, dass hinter dem Oktoberfest-Attentat 1980 aus dem Ruder gelaufene Neonazi-Gruppen standen, die mit sogenannten Stay-behind-Armeen der Nato Kontakt hatten. Kam Ihnen ein ähnlicher Gedanke auch für die Tat Bachmanns?
Dazu habe ich kein Material.
Auch der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras, dessen Todesschüsse auf Benno Ohnesorg die 68er-Bewegung erst richtig anheizten, hatte einen anderen Hintergrund als vermutet, wie jüngst öffentlich wurde. Er war ein IM der Stasi gewesen. Warum tauchen mehr als 40 Jahre nach 1968 immer neue Akten auf, die dem Geschehen wieder neue Facetten geben? Ist das ein Zufall?
Das hat einerseits damit zu tun, dass das Archivgesetz eine frühere Akteneinsicht gar nicht ermöglicht. Andererseits habe ich auch nicht vermutet, dass bei der Masse an Material etwa zum Bachmann-Prozess hinter den kleinen blinden Flecken so viel stecken könnte.
Warum sind wir eigentlich immer noch so sehr mit 1968 beschäftigt?
Auch wenn das Ihre Frage nicht ganz beantwortet: Zumindest ich, der sich mit Dutschke so intensiv beschäftigt hat, neige dazu, in Sachen 1968 jeden Stein noch einmal umzudrehen.
Der Springer-Verlag zeigt sich nun einigermaßen erfreut darüber, dass er mit dem Dutschke-Attentat nichts zu tun zu haben scheint (es war ein Nazi) - und dass zudem die 68er-Bewegung einen ihrer entscheidenden Impulse scheinbar über Kurras von der Stasi bekam. Stört es Sie, dass der Springer-Verlag sich so von Schuld reinzuwaschen versucht?
Die Haltung des Reinwaschens ist deutlich erkennbar - dem kann man nur einigermaßen amüsiert zuschauen. Die Pogromstimmung, die die Springer-Presse vor allem innerhalb Berlins erzeugen wollte, hat sich wenig unterschieden von den Diffamierungen, die damals in den rechten Szeneblättern stattgefunden haben. Das ging so weit, dass die Springer-Zeitungen den Tod an Ohnesorg zunächst sogar den Studenten selbst in die Schuhe schieben wollten. Da war Springer vor etwa zehn Jahren schon mal weiter. Es gab ja den früheren Bild-Chefredakteur Peter Boehnisch, der damals selbstkritisch die Rolle seines Hauses 1968 thematisierte.
Bachmann war zwar ein Neonazi, aber auch ein armes Schwein, das selbst, etwa durch eine Vergewaltigung während einer Haft in Frankreich, seelisch stark beschädigt war. Empfinden Sie irgendein Mitleid mit ihm trotz seiner Tat?
Seine seelische Schädigung ist offenkundig. Wenn Sie den Briefwechsel zwischen Bachmann im Gefängnis und Dutschke lesen, können Sie spüren, dass Bachmann ein ganz fürchterliches Erwachen erlebt. Er versteht, dass er auf jemanden angelegt hat, von dem er ein völlig falsches Bild hatte. Bachmann hielt Dutschke ernsthaft für einen Jünger Ulbrichts. Das ist klar die Tendenz der Springer-Presse gewesen. Bachmann wusste nichts davon, dass Dutschke aus der DDR weggehen musste, weil er dort den Kriegsdienst verweigert hatte. Und er hatte sich mit den dortigen Stalinisten angelegt. Der versöhnliche Briefwechsel mit Dutschke hat Bachmann so um sein Feindbild gebracht. Es hat ihm den Boden unter den Füßen entzogen.
Dutschke hat zwei Briefe an Bachmann geschrieben, zumindest in seinem zweiten finden sich recht feinfühlige Sätze voller Verständnis für Bachmann. Rühren Sie diese Sätze?
Diese beiden Briefe berühren mich deshalb, weil sie wie kaum ein anderes Dokument zeigen, dass die 68er mit ihrem Anspruch sich dem revolutionären Subjekt, etwa einer Gruppe wie der Jugend, nicht vermitteln konnten.
Sie haben Dutschke kurz vor seinem Tod noch einmal interviewt: Bewegt Sie die Erinnerung an ihn noch heute?
Damals, 1979, war er so gut in Form, dass ich meinte, jemanden mit Zukunft vor mir zu haben. Das war die Zeit der Boatpeople, also der Flüchtlinge aus Vietnam - Menschen, die vor einem Regime und den Umerziehungslagern der Vietcong geflüchtet waren, die die 68er-Bewegung noch etwa zehn Jahre vorher so massiv befürwortet hatte. Mich hat damals besonders beeindruckt, dass Dutschke überhaupt keine Vorbehalte hatte, diesen kritischen Befund anzunehmen und ihn nicht einem Lagerdenken zu opfern, sondern die Kategorie der Befreiung als wesentlich anzusehen. Er konnte alte und lieb gewonnene Denkstrukturen hinter sich lassen und Realitäten wahrnehmen. Damals hatte ich den Eindruck: Die Kugeln von Bachmann haben ihn nicht zerstört. Er wird sich weiter in die Politik einbringen. Es ist ihm gelungen, sich nach einem Jahrzehnt Auszeit und hartem Training alles wieder selbst beizubringen. Und natürlich war ich traurig, als ich die Nachricht von seinem Tod erhielt.
Vor 30 Jahren starb Rudi Dutschke an den Spätfolgen des Attentats durch Josef Bachmann. Haben Sie manchmal den Eindruck, dass er gefehlt hat oder heute noch fehlt?
Es hat so viele Versuche gegeben, Dutschke zu vereinnahmen. Dennoch glaube ich: Ganz sicher hat er gefehlt bei der ganzen Debatte "Wie verhält sich die Linke zur nationalen Frage?" Dutschke hätte eine interessante Vermittlung zwischen einem internationalistischen linken Ansatz und seiner deutschen Identität, aus der er keinen Hehl gemacht hat, hinbekommen. Da wäre er ein guter und unverdächtiger Ratgeber gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten