Durchs Dröhnland: Auf dem Weg zu sich selbst
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Den Lassie Singers waren ihr eigenes Innenleben, die überflüssigen Szene-Geschichten und der eigene Dilettantismus nie zu peinlich. Statt dessen schenkten sie neben den grandiosen Interpretationen klassischer Schlager dem Publikum das eigene Herzeleid, das die Zuhörer selbst am Abend vorher in Ex & Pop oder Milchbar erlebt hatten. Aus einem Partyprojekt, das aber immer von sich behauptete, in die ZDF-Hitparade zu wollen, wurde mehr. Sie haben erreicht, was sie angeblich immer erreichen wollten: Sie sind Stars. Sie haben es noch nicht einmal mehr nötig, ihren Auftritt beim Senatsrockwettbewerb-Nachfolger „Metrobeat“ zu absolvieren, denn die zweite LP auf einem Major läuft und läuft, die Menschen auf der Straße trällern die herzzerreißende Geschichte vom Taxifahrer, der eine „aufkeimende Liebe zerstörte“, nach. Christiane Hügelsheim, Kathrin von Witzleben und Almut Schummel haben ihr männliches Backing-Duo an Gitarre und Schlagzeug ausgewechselt, was ihrem Weg zum Pop ohne Zweifel gutgetan hat. Und statt Howard Carpendale wird heutzutage eben Peter Orloff gecovert. Drei Frauen auf dem Weg nach ganz oben.
Am 22.1. um 22 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg
Corvus Corax haben sich ihre Instrumente zwar eigens nach mittelalterlichen Abbildungen nachbauen lassen, aber wer nun betuliche Moritaten im Stile von Ougenweide erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Die Musik, die sie längst vergangenen Jahrhunderten entreißen, ist vielmehr wild, ekstatisch, eher Hexenverbrennung als gesitteter Geschichtsunterricht. Anders als bei den in den Siebzigern so beliebten Weiterbildungsensembles entwickeln sie eine Intensität, die die Faszination dieser Musik nicht nur intellektuell erfahrbar macht.
Am 22.1. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Am Anfang wollte Christoph Griese nur ein Landesjugendjazzorchester nach dem Vorbild anderer Bundesländer gründen, inzwischen sind Jay Jay Be Ce, was ohne Zweifel besser klingt als JugendJazzBand Charlottenburg, vielleicht das beste Ensemble dieser Größe in der Stadt. Man hat zuletzt einen 1. Preis in einem bundesweiten Wettbewerb in der Sparte Big Band gewonnen, aber vom betulichen Swing, den man mit dem Label Big Band verbindet, sind Jay Jay Be Ce meilenweit entfernt. Versiert und – für eine solche Institution überraschend – stilsicher vermengen die gut 15 Amateure und Profis eine Stilpalette von atonalem Gekrächze bis klassischem Cool Jazz.
Am 22.1. um 22 Uhr mit Moabit Blues Band in der Kulturfabrik, Lehrter Straße 35, Moabit
Wenn in dieser Stadt irgend was prosperiert, dann ist es – die Zeichen der Zeit erkannt – die Metal-Szene. Nach Skew Siskin, die es nur noch selten in die Heimat verschlägt, weil sie in L.A. ja ach so begehrt sind, versuchen nun Smash'n Grab mit ähnlichem Konzept, Langhaarige zu betören. Eine Sängerin, die üblichen Riffs, die Coverversion von Alice Cooper, die krampfhaft kritischen Texte. Allerdings muß man zugeben, daß Smash'n Grab nicht umsonst auf einem Major gelandet sind. Ihr stark von den goldenen Siebzigern beeinflußter Metal muß – wie man so schön sagt – den internationalen Vergleich nicht scheuen. Von der handwerklichen Perfektion bis zur Tätowierung an der richtigen Stelle ist alles vorhanden. Eigentlich wirklich eine sehr gute Band, wenn das Erfolgsrezept nicht schon so durchgekaut wäre. Da sind B.S.G. schon interessanter. Nicht daß sie innovativ wären, auch wenn ihnen das in der nach Extremen strebenden Musikpresse angedichtet wird. Die Beck Session Group, wie die Band aus Rüsselsheim ursprünglich hieß, vereinen schlicht alles, was an Hardcore in den letzten Jahren gut war. Die Namen No Means No, All, Hüsker Dü und Moving Targets fallen da, nicht daß das bei B.S.G. nicht zu hören wäre, aber die Klasse der einzelnen Bands erreichen sie dann doch nicht. Das Überraschende an ihnen ist die Fähigkeit, alle diese Musiken zu adaptieren, als wären sie ihre eigenen, und das Ganze technisch zu gut zu spielen, daß der übliche Punkmatsch, der in Deutschland gerne als Hardcore mißverstanden wird, erst gar nicht aufkommt.
Am 23.1. um 22 Uhr auf der Insel
Zum einen sind No Sports perfekte Traditionalisten, denn kaum eine andere deutsche Ska-Band adaptiert die Urform des Reggae so gekonnt. Andererseits aber integrieren sie fast unmerklich andere Stile so passend in den Off- Beat, daß man das Hüpfen nicht vergißt. Und da ist ihnen auch nichts heilig oder peinlich: Bacardi-Feeling, eine Clapton-Gitarre, satte Funk-Bläser. Manchmal sind sie für den echten Rude Boy zwar zu gemächlich, aber immer noch sind No Sports mehr Rum als Ganja.
Am 23.1. um 22 Uhr im SO 36
Musikalisch ist der Spiegel immer nicht nur etwas hinterher. Die Bands, die ihm eine Geschichte wert sind, sind meist eh schon in aller Ohren. Nachdem Nirvana schon über zwei Millionen von „Nevermind“ verkauft hatten, suchte auch das Nachrichtenmagazin das nächste große Ding von übermorgen und fand eine Band, die bereits fast zehn Jahre alt ist. Doch Giant Sand nützte auch diese Story nichts, zu verquer bleibt Howe Gelbs Band, als daß sich ein übergroßes Publikum finden würde. Obwohl das letzte Überbleibsel einer Mitte der Achtziger einmal so aktiven Arizona-Szene auf der aktuellen LP „Center of the Universe“ zur Abwechslung mal nicht mehr so spinnert agiert wie zuletzt, sind die Songs von Gelb einfach zu krank. Und wenn die Melodie einmal das Zeug zum Hit hätte, wird sie mit allerlei technischen Spielereien oder Text-Einspielungen entschärft. Live verhält sich vieles anders, weil Howe Gelb es in den letzten Jahren vorzog, nur mehr mit seiner Gitarre und seinem Schlagzeuger John Convertino auf Tour zu gehen. Und meist ging er so lange nicht von der Bühne, bis seine Flasche brauner Tequila alle war und er sämtliche Geschichten, die er zu erzählen wußte, ans Publikum gebracht hatte. Und er weiß eine Menge zu erzählen. Diesmal wird das Duo zumindest durch Chris Cacavas, der selbst zwei schöne Solo-LPs vollbrachte, ergänzt.
Am 24.1. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Wer bei Reggae immer noch zuerst an Bob Marley, dann an Peter Tosh denkt, hat seine Lektion nicht richtig gelernt. Von Lee „Scratch“ Perry wird nicht nur behauptet, er hätte den Reggae erfunden, er hat vor allem einen Vorteil: Er lebt noch. In den frühen 60ern war er der erste, der den extrem verlangsamten Off- Beat über Jamaika hinaus bekanntmachte, in seinem Studio prägte er als Produzent den Sound des frühen Reggae. Irgendwann wurde er dann von den Rastafaris und der Heim-nach- Afrika-Ideologie überholt, auch weil er sich selbst nicht der sinnstiftenden Revolutions-Religion öffnete und mithin gesellschaftlich überflüssig wurde. Ironischerweise war Perrys Musik nie so poppig wie etwa ein Bob Marley, sondern schon in den Anfangstagen eher Dub-Reggae, der eigentlich erst in den Achtzigern erfunden wurde. Für Perry war Reggae immer zuallererst Spaß und nie Politik, womit er schon damals anlegte, was sich heute – wenn auch musikalisch wesentlich platter – in musikunterlegten Palmenwerbespots auslebt. Auf Tour kommt Perry mit der deutschen Band Soon Come, und versprochen wird, daß er sich zumindest von den aktuellen Dancehall-Ritualen angetan zeigt.
Am 25.1. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg.
Thomas Winkler
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