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Durchs DröhnlandVon Tagebüchern und Briefen

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Es ist spät in der Nacht, und ich sitze hier und höre Hardcore- Tapes. Allein das ist doch wohl schon eine Leistung. Ultimate Warning geben sich nicht gerade Mühe, mir angenehme Gesellschaft zu leisten. Aber das war auch wohl ihr letztes Anliegen. Hier werden auf internationalem Niveau die international üblichen Texte, in denen es von truths über Sozialschweinereien nur so wimmelt, mit international erfahrenen Breaks und Gitarrengeknüppel eingehämmert. Aber flott. Ein wenig mehr Zeit für die große Geste lassen sich dagegen Flat Earth. Da schweinöst sogar hin und wieder der Rock, zerren die Gitarren und tiriliert der Sänger. An denen kann man unschwer erkennen, daß auch der Hardcore-Nachwuchs von den siebziger Jahren gehört hat.

Mit Tiny Giants und Stand As One, am 12.8. um 21 Uhr im Tommy-Weißbecker-Haus, Wilhelmstraße 9, Kreuzberg.

Gerade eben habe ich eine alte Mix-Kassette mit Rockabilly aus den Fünfzigern gehört und mich gefreut. Vielleicht geht es Menschen ja in 20 oder 30 Jahren ähnlich, wenn sie sich klassischen Punkrock anhören. Die laben sich dann auch an der fröhlichen Schlichtheit, den leicht wiederzuerkennenden Strukturen, dem Uffta-uffta und überhaupt daran, daß die Musik und damit die Welt früher so viel einfacher zu verstehen war. Aber noch sind wir nicht soweit, noch gibt es genügend Bands, die Punkrock spielen, als sei er vorgestern erfunden worden (und den paar existierenden Billy-Bands haftet etwas eindeutig Karnevalistisches an). Mit dabei sind Bad Genes aus Pittsburgh. Dort geht es schmucklos geradeaus wie bei Linford Christie oder Bad Religion, nur daß den Bad Genes der Dopingverdacht des ersteren und die Surf- Melodien der zweiteren abgehen. Inklusive krächzendem Wutgesang aber der perfekte Soundtrack zu den in diesen Kreisen üblichen Leibesübungen. Mindestens ebenso pogotauglich sind Germ Attack, die sich aus den Resten der verblichenen Rattlesnake Men rekrutierten. Im Verhältnis zu früher haben die Berliner die Geschwindigkeit zwar etwas reduziert, aber allzu viele Ecken sind da immer noch nicht, wenn auch der Break-Faktor weit höher ist als bei den Bad Genes. Zuletzt auffällig wurden Germ Attack durch eine Antifa-Benefiz-Single des Crisis-Klassikers „Holocaust“, der auf der B-Seite noch in einer eingedeutschten Version dargeboten wird.

Am 12.8. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str. 157, Schöneberg.

Was für eine Musik macht wohl einer, den die eigene Plattenfirma für „eine Mischung aus Leonard Cohen und Charles Bukowski“ hält, zu dem Spex Kevin Coyne einfällt und von dessen Stimme die zitty glaubt, daß sie, was nun überhaupt nicht stimmt, der von R.E.M.-Michael Stipe ähnele? So einer macht recht zurückgezogenen Songwriter-Folk, mal auch ein bißchen Hängerrock und heißt Vic Chesnutt. Dabei schafft es der Mann aus Athens, Georgia, der seit einem Autounfall im Rollstuhl sitzt, die Schlaffheit keinen Moment maniriert klingen zu lassen, sondern immer nach unvermeidlicher Notwendigkeit. Da kreiselt einer um sich selbst und fährt die Kamera hin und wieder vielleicht zu nah an den eigenen Bauch heran, aber Chesnutt hält stilsicher die Balance zwischen Tagebuch und Brief an den guten Freund. Komischerweise hört man seiner dritten Platte „Drunk“ kein bißchen an, daß sie angeblich während einer Dreitageparty aufgenommen wurde. Sparsam, knarzig und gar nicht überschwenglich betrunken werden die Töne gesetzt, so daß man die Begleitmusikanten oft nur der Besetzungsliste entnehmen darf. Man darf gespannt sein, wie der Trockenzustand klingt. Im intimen Kreis wird Chesnutt zu den genialsten Songwritern gezählt, die Liste seiner Fans liest sich prominent: Seine Platten erscheinen auf Henry Rollins' Label Texas Hotel, die ersten beiden wurden produziert von besagtem Michael Stipe, der irgendwann vor Chesnutts Tür stand und ihn ins Studio schleppte. Und Stipe ist wohl auch der Mann, dem die Welt Vic Chesnutt zu verdanken hat: „Ich glaube, Michael ist letztlich der Grund, warum ich Musik mache. Er ist mein Daddy. Ein genialer Typ. So berühmt wie er möchte ich aber nie werden.“

Am 13.8. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Hierzulande relativ unbemerkt (außer einschlägigen Diskotheken) hat sich aus Reggae mehr entwickelt als die klassische Kifferhüftenwiegerei, die jeder kennt. Neben der Wertesicherung im Dub, wird im Raggamuffin versucht, moderne Dance-Entwicklungen in den Reggae zu mixen. So auch Jamaican Sister Ann, die inzwischen in Berlin wohnt und auf der Maxi ihres Projekts NOX schon fast zu nahe dran ist am House. Was aber nicht viel bedeuten muß, denn bei einem Jam bestimmen die Sound Systems ursächlich Klang und Rhythmik. Beim Big Summer Jam im Yaam werden im Wechsel jeweils ein HipHop- und ein Reggae-System für die Beats sorgen, Sister Ann und der zweite Stargast General Levy werden sich wohl ober übel mit der gelieferten Unterlage anfreunden müssen.

Am 13.8. um 22 im Yaam, Eichenstraße 4, zwischen U-Schlesisches Tor und S-Treptower Park

Was kann man tun, wenn die Hitze das Hirn zum Krachen bringt? Der Kopfschmerz legt sich am besten beim Hören alter Platten, die man in klimatisierten Geschäften (z.B. bei 2001) sucht, wo sich mancher Schatz aus der Steinzeit der Popmusik für schlappe 4,90 Mark erwerben läßt. Diesen streng rückwärtsgerichteten Ansatz, der dem ereignislosen Sommer ein bißchen sinnvolle Kontemplation beschert, befriedigen auch die Space Hobos, das Trio aus einem Frankfurter und zwei Berlinern, die vormals bei den Raymen die Tollen wippen ließen. Das Repertoire der Instrumentalkapelle ist zwar unerschöpflich, aber doch zeitlich stark eingeschränkt auf die goldenen fünfziger und sechziger Jahre: „Batman“ von Link Wray, „Rebel Rouser“ von Duane Eddy, The Ventures oder die Titelmelodie von „Raumpatrouille Orion“. Am modernsten ist noch ihre Version der „Lindenstraße“-Erkennungsmelodie.

Am 18.8. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg Thomas Winkler

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