Durchs Dröhnland: Persönlichkeitsverformende Hobbys
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Zwei sehr verschiedene Sorten von Romantik: The Jacobites bieten das Gummibärchen, Hugo Race verteilt Zartbitter-Schokolade. Dabei kann einem die diabetische Süßlichkeit der Jacobites um die beiden alten Rüschen- Kumpane Dave Kusworth und Nikki Sudden ziemlich auf den Magen schlagen – große Kinder, die ihre Beatles sehr falsch verstanden haben. Hugo Race ist zwar auch Kumpel (wenn auch nur Ex- vom Schwarzheiligen Nick Cave), hat sich aber emanzipiert und einen eigenen Weg gefunden, die Pein seiner scheinbar viel zu zarten Seele ohne Peinlichkeit über hingetupften Tönchen auszuleben.
Heute, 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlberg.
Sie sind kein Trio, und sie leben nicht am Meer, aber The Surf Trio! ist eben ein cooler Name. Cool sind ebenso kaltes Bier, Comics, billige Horrorfilme und natürlich Rock 'n' Roll, wie die vier durch und durch nach Gebrauchtwagenhändlern aussehenden Herren aus Eugene, Oregon, vermelden. Und der größte Vorteil daran, in einer Rock-'n'- Roll-Band zu spielen, sei der, daß man sich „solch persönlichkeitszerstörenden Hobbies wie Biertrinken, massenhaft Fernsehen und Plattenhören hingeben kann“ und erst recht seine Arbeit besser macht. Sie haben es verstanden, hier geht's um Trash, um Sixties-Punk, um Garagenrock, um durchgeknallte Verstärker, um dreckigen Glamour. Das Surf Trio kann dabei knorke vorwärts spielen, die Ramones nachäffen und das Wabern der Cramps kopieren. Beste Band von hier bis zum nächsten BSR-Betriebshof.
Heute, 21 Uhr, Huxley's Jr., Hasenheide 108–114, Neukölln.
Zum fünfjährigen Jubiläum hat sich Pork Pie, das Label mit dem Filzhütchen, eine Legende eingeladen. Derrick Morgan, Jahrgang 1940, hat den Ska miterfunden. Die Nähe zum Rhythm & Blues, aus dem Rocksteady und später dann eben Ska entstanden, hört man bei Morgan vor allem noch im Zartschmelz seiner Stimme. Die deutsche Kapelle Yebo legte ihm für seine letzte Platte einen unhektischen Teppich drunter. Den aktuellen Stand des Genres erfährt man dann von No Sports, den Toasters, Mr.Review und The Frits.
Heute, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg, morgen im Lindenpark, Potsdam.
Slick kommen aus Prenzlauer Berg und sind fröhliche Rockmusikanten, die kaum was auslassen. Da wird an große amerikanische Trio-Traditionen angeknüpft und Melodie mit Lärm verbunden, aber auch englisch krude Ideen gesponnen, die von The Fall kommen könnten. Gut gelaunt kann man vor allem sein, daß es auch noch Menschen gibt, die sich keinen Konzeptkopf machen, sondern einfach loslegen.
Morgen, 22 Uhr, Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170.
Beim Sprechen über L7 rückt gerne in den Vordergrund, daß sie eine Frauenband sind, politisch engagiert und sexuell offensiv. Doch jenseits all dieser Geschichten, in deren Verlauf schon mal frisch verwendete Tampons ins männliche Publikum fliegen, sind die vier aus Los Angeles vor allem eine der besten Heavy-Metal-Bands dieses Planeten. Und ich meine nicht Hardcore, nicht Thrash, nicht Grunge, nicht AOR, ich rede von Heavy Metal, von dem bißchen Gold in den Siebzigern, von AC/DC (fast alles) oder Deep Purple (weniges, aber immerhin).
Morgen, 21 Uhr, SO 36.
Da stellen sich einem dann doch alle Nackenhaare auf, wenn eine Plattenfirma ihre Schützlinge mit „Newcomerband des Jahres bricht alle Rekorde“ verkauft. Das stimmt zwar rein pekuniär im Falle von Oasis, die ansonsten aber vor allem die aktuelle Unentschiedenheit des englischen Pops offenbaren. Die euphorische Ehe von Rock und Tanzboden (=Rave) ist auch in Manchester, von wo auch Oasis kommen, längst wieder geschieden, während die Amis den Rock zurückerobert haben. So versuchen sich Oasis eben auch am Rock, ziehen aber die 60er als Grabbelkiste den 70ern vor und können ein unvermeidliches englisches Nölen auch nicht lassen. Übrig bleibt – wie so oft – ein ungutes Gefühl von Studentenrock.
Am 20.11., 20.30 Uhr, Loft im Metropol, Nollendorfplatz, Schöneberg.
Die New Yorker Defunkt waren mal weniger verkäuflich als vielmehr sehr einflußreich mit ihrem Alles-Crossover. Genau das führt Ex-Defunkt John Mulkerin mit den Liquid Hips fort, wenn er auch zusätzlich noch Hardcore und HipHop in den eh schon auseinanderdriftenden Mischmasch aus Funk und Rock und Jazz integriert. Aber daß der Mann schon einige Spielzeiten auf dem Buckel hat, merkt man dem hausbackenen Sound doch an.
Am 20.11., 21 Uhr, Huxley's Jr.
Mit Cracker haben wir zwar eine Band, die nicht unwesentlich vom nordkalifornischen Folkrock-Revival profitiert, tatsächlich aber hat Cracker-Mastermind David Lowery in seinem ersten Leben als Kopf von Camper Van Beethoven lange vor Penelope Houston und all den anderen die wesentlich intelligentere, wenn recht versponnene Variante desselben Ansatzes abgeliefert. Cracker bemüht sich um eine wesentlich schlichtere, einfach strukturierte Herangehensweise und liegt damit im Trend. Die Counting Crows dagegen sind ganz jung, ganz frisch, gerade mit ihrer ersten Platte schwer erfolgreich und vor allem aus San Francisco, wenn auch weniger Folk als mehr Rock. Und vor allem sehr viel Leid, sehr viel Einsamkeit, sehr viel böse Welt, sehr, sehr viel Seelenpein, die uns Sänger Adam Duritz ins Poesiealbum dichtet: „It's 4:30 a.m. on a Tuesday/ It doesn't get much worse than this.“ Und natürlich wird's schlimmer, das wird es immer.
Am 22.11., 20 Uhr, Metropol.
Auch wenn sie das in Lüneburg, wo die Paradocs herkommen, nicht mehr hören wollen, aber man muß es sagen: Da haben fünf die frühen U2-Platten heftig geherzt und dabei Freunde gefunden. Aber obwohl sie dieselbe wummernde Gitarre nehmen und der Gesang um kein Pathos verlegen ist, kommt ihre Musik eben aus einem beschaulichen deutschen Kleinstädtchen und nicht aus Dublin und ist deshalb Pop und nicht Postpunk.
Am 22.11., 22 Uhr, Knaack.
Was ist das für eine Band, bei der die aktuelle Haarfarbe und -länge des Sängers oft für interessanter erachtet wird als die neue Platte? Cult natürlich, die nicht nur ich in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren hatte. Aber für eine Überraschung sind die immer gut, und die neue, schlicht selbstbetitelte Platte kehrt zu den Ursprüngen als Southern Death Cult zurück, ohne die Errungenschaften der „Electric“-Phase zu vergessen. Ian Astbury knödelt, kreischt und quietscht wieder jede Menge „yeahs“, four-letter-words und ein paar belanglose Zeilen souverän zu geadelt bösem Schweinerock. Alles wie gehabt.
Am 24.11., 21 Uhr, Huxley's Neue Welt. Thomas Winkler
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