: Dumpfe Folklore
Zu den Ostermärschen in Berlin und Brandenburg
Es ist erschreckend, sich die Ostermarsch-Kundgebung am Berliner Breitscheidplatz anzusehen. Vor allem, wenn man die Leute, die dort ihren Ostersamstag zubringen, nicht vorverurteilen will. Es versammelten sich rund 200 Friedensbewegte, die Linke war vertreten, die DKP, ein bizarrer Einzelaktivist, der dagegen protestieren wollte, dass „die Kuh Deutschland“ gemolken werde. Ein Transparent, das von „Sechzig Jahren Besatzung“ sprach, wollte dreist die Staatsgründung Israels zurückgenommen wissen. Die Kapelle, die für „Stimmung“ sorgen wollte, sang direkt daneben – ohne jede Scham – jiddische Lieder. Gedichte von Erich Fried fehlten nicht. Ein fliegender Händler verkaufte Anti-Schäuble-T-Shirts und Buttons mit dem RAF-Logo. Ein Häuflein Wackerer umrundete den Breitscheidplatz mit Plakaten, auf denen eine Abwrackprämie für Waffen gefordert wurde.
Es war erbärmlich. Diese „Sozialisten“ können sich nicht beschweren, wenn der Bratwurststand neben der Kundgebung mehr Zulauf hat. Eine Bratwurst ist wahrer als Politkitsch. Die Redner behaupteten ernsthaft, die Afghanen könnten verhandeln, wenn alle Truppen abgezogen seien, und ignorierten, dass die Taliban nicht an Verhandlungslösungen interessiert sind. Dass eine radikale Opposition nicht nur „an der Regierung beteiligt“ werden mag, kann man bei Lenin nachlesen. Doch den haben diese Friedensaktivisten genauso vergessen, wie sie die Realität nicht wahrnehmen wollen. Dass es lediglich „angebliche Angriffe der Hamas“ gegeben haben solle, klingt selbst für jene Menschen verlogen, die die israelische Politik ablehnen.
Im nordbrandenburgischen Fretzdorf dagegen, in dem sich beeindruckende 12.000 Menschen einfanden, um gegen einen Bombenabwurfplatz der Bundeswehr zu protestieren, feiern Politiker aller Parteien ein Stelldichein. Doch ein Grünenvorsitzender ist, wie man erfahren konnte, immer nur solange ganz entschieden gegen einen jeden Krieg, wie sich seine Partei in der Opposition befindet. Und der CDUler Sven Petke lügt nicht, wenn er sagt, dass Frank-Walter Steinmeier sich allzu billig gegen das „Bombodrom“ wende: „Die Menschen sind doch nicht dumm. Jeder weiß, dass Steinmeier als Chef des Bundeskanzleramtes unter Kanzler Schröder keinen Finger gerührt hat, um die Bundeswehr und den damaligen Verteidigungsminister Peter Struck zu einer Aufgabe der Pläne zu bewegen.“
„Die Menschen sind doch nicht dumm“ – diese Einschätzung sollte man teilen, wenn man es mit der Demokratie oder dem Arbeiterkampf ernst meint. Doch der Großteil der Friedensbewegung scheint die Menschen für dumm zu halten, sie glaubt, diese mit Parolen abfüttern zu können, die der Komplexität der heutigen Politik in keiner Weise gerecht werden. „Frieden“ als solchen will auch der Nazi, den auf den Demos zu Schau getragenen Statements gegen Israel und die USA kann der ohne Weiteres zustimmen. Brauchen die Linken solche Freunde?
Es ist an der Zeit zu begreifen, dass, egal was man vom Einmarsch in Afghanistan und den Irak gehalten hat, es nun eine Katastrophe wäre, zöge man einfach alle Truppen zurück und überließe man das Land den schwer bewaffneten Fanatikern. Um das zu erkennen, muss man die Nato nicht lieben.
Und es ist naiv zu glauben, dass aufgrund der Proteste in Straßburg und London, seien sie nun friedlich oder militant, eine neue linke Bewegung entstehe, die Ideen hätte, die wirklich attraktiv wären. Mit hohlen Dichotomien, mit einem gebetsmühlenartig vorgetragenen „Die da oben, wir hier unten“ kommt man einem Kapitalismus nicht bei, der die Konflikte in die Subjekte selbst verlagert hat, der „Leistungswillen“ und „Versagensangst“ befördert und in Sportstudios und auf Wellnessfarmen den Leuten ihren eigenen Körper noch einmal verkauft. Angesichts eines solchen Kapitalismus entpuppt sich das Gerede von den „heiteren palästinensischen Bauern“ als erzreaktionär und kolonialistisch. Der Europäer fantasiert sich im „Bauern“ den „natürlichen“ Menschen herbei, der man selbst nicht sein kann und den es nirgendwo mehr gibt. Es ist erbärmlich. JÖRG SUNDERMEIER