: Dröhnender Motor der Stadt
Berlin bekommt einen neuen und viel zu lang ignorierten Ehrenbürger: das Auto. Ein Jubelbericht
Von Michael-André Werner
Fröhlich, aber doch getragen ist die Stimmung im großen Saal des Berliner Rathauses, ganz wie es dem Anlass der Veranstaltung angemessen ist. Denn heute wird hier eine Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin verliehen – eine ebenso große wie seltene Auszeichnung.
„Es erfüllt mich mit besonderer Freude“, beendet gerade Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner seine Rede, „und es ist mir eine große Ehre, hier und heute an diesem historischen Datum die erste Ehrenbürgerschaft des Landes Berlin in meiner jungen Amtszeit verleihen zu dürfen – an das: Automobil.“ Wegner steigt vom Podium herunter und stellt sich stolz neben seinen frisch in den Berliner Farben Schwarz, Weiß und Rot lackierten Dienstwagen.
Aber es ist selbstverständlich nicht Wegners Dienstwagen, der hier ausgezeichnet wird, der Audi A3 steht stellvertretend für alle 1.244.061 Autos, die in der Hauptstadt angemeldet sind und die Straßen mit Leben erfüllen sowie für die unzähligen Fahrzeuge aus dem Um- und Ausland, die Berlin jedes Jahr be- und heimsuchen.
„Das Auto hat sich nicht nur um die Stadt verdient gemacht, in dem es für eine verlässliche und kontinuierliche Transportmöglichkeit sorgt, es steht auch für Unabhängigkeit und Freiheit: Freiheit von Fahrpreisen, Freiheit von Fahrplänen, Freiheit vom Wetter. Wir, Berlin als Stadt und alle seine Mitbürgerinnen und Mitbürger, sind verpflichtet, dem Auto Tür und Tor beim Kampf um diese Freiheit offen zu halten und diesen zu unterstützen“, sagt der engagierte Deutschlandticket-Gegner Kai Wegner. „Berlin wird in den kommenden Jahren wieder zu einer freien Stadt werden – frei von Pollern, frei von Fahrradwegen, frei von der Diktatur des Unmotorisiertseins.“
Um diese Freiheit zu gewährleisten, wird Berlin die zentrale Autobahnachse A 100 entlang des S-Bahn-Rings erweitern, verkündet Wegner, die Ampelschaltungen für den fließenden Pkw-Verkehr werden auf ein permanentes Grün gestellt. Fußgänger, die über die Straße wollen, können allerdings schnell und einfach einen Carsharing-Wagen mieten und auf die andere Straßenseite fahren.
Ehrenbürger von Berlin zu werden ist nicht einfach. Werden in der Hauptstadt pro Jahr etwa zehn bis zwölf Verdienstorden des Landes Berlin an engagierte Bürgerinnen und Bürger der Stadt verteilt, so gibt es nur etwa alle zwei Jahre einmal eine Ehrenbürgerschaft.
Materielle Werte sind damit nicht verbunden. Ein Ehren-Bürgergeld wird nicht ausgezahlt. Als Würdenträger erhält man immerhin Einladungen zu Empfängen, Bällen und Gedenkfeiern. Von jedem Ehrenbürger wird außerdem ein Gemälde angefertigt, das dann in den Gängen des Roten Rathauses aufgehängt wird, die Wahl des Künstlers steht dabei jedem Geehrten frei.
Traditionell gibt es überdies ein lebenslanges Anrecht, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu nutzen. Da Autos aber weder Bus noch U-Bahn fahren können, sind ab sofort alle Busspuren wie auch alle Radwege als sogenannte Ehrenbürgerspuren für Autos freigegeben.
Jeder Geehrte erhält außerdem eine Ehrenbürger-Anstecknadel, um andere Ausgezeichnete auf der Straße zu erkennen. Das Automobil bekommt stattdessen einen goldenen Sticker – den Bürgermeister Wegner nun symbolisch auf die Windschutzscheibe seines Dienst-Audi pappt.
Die Ehrenbürgerschaft wird in der Regel erst im fortgeschrittenen Alter zuerkannt. Das Automobil ist mit seinen über 140 Jahren der wahrscheinlich älteste Gewürdigte in einer hochrangigen und illustren Liste von Persönlichkeiten: die deutsche Medienoligarchin Friede Springer, sämtliche deutschen Bundespräsidenten und -Kanzler, US-Präsidenten wie Ronald Reagan oder George H. W. Bush, aber auch Künstlerinnen und Künstler wie Paul Lincke, Heinrich Zille, Marlene Dietrich und Dietrich Fischer-Dieskau.
Die Auszeichnung erlischt auch mit dem Tod nicht und kann auch nicht gekündigt werden. Stattdessen erhalten Betroffene ein Ehrengrab auf einem Berliner Friedhof. Nur in Ausnahmefällen kann eine Ehrenbürgerschaft aberkannt werden, zum Beispiel wenn jemand auf der falschen Seite der Mauer regiert (Wilhelm Pieck oder Erich Honecker), als Kommunist die Stadt vom Faschismus befreit (verschiedene russische Generäle) oder den Krieg verloren hat (Adolf Hitler).
Der Regierende Bürgermeister Wegner tätschelt liebevoll die Motorhaube und setzt sich dann auf die Fahrerseite. „Das Auto ist der Motor der Stadt. Und deshalb verleihe ich ihm die Ehrenbürgerwürde Berlins“, verkündet er feierlich und hupt dreimal. Die Gäste der Feierstunde, darunter die sechs derzeit noch lebenden Ehrenbürger der Stadt, applaudieren. Das Catering-Personal verteilt Sekt. Auch Wegner nimmt sich ein Glas, heute darf er ausnahmsweise einmal mit Alkohol am Steuer sitzen. Sonst muss er immer im Fond trinken.
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