Dr. Jekyll und Mr. Hyde: King Crimson im Admiralspalast: Ein Mehr an Noten
Ausgehen und Rumstehen
von Thomas Mauch
Die Zukunft, damals. 1969 beispielsweise, als es noch keine Handys gab, dafür aber diese neue Band in England, die der Ansicht war, dass da im Pop noch mehr gehen muss als der Blues und Beat und die netten Liedchen. King Crimson meinten sogar: viel mehr.
Was sie dann alles reinpackten in ihr Debütalbum „In the Court of the Crimson King“. Zu hören waren darauf Verneigungen vor Béla Bartók, Verweise auf heftigen Jazz und sonstige Kulturbeflissenheiten, sodass das Album seither als das Geburtsmanifest des Progressive Rock herumgereicht wird.
Mehrfach löste sich die Band um Mastermind Robert Fripp in den Folgejahrzehnten auf und wurde dann von dem mittlerweile 70-jährigen Gitarristen wieder neu gruppiert, zuletzt 2013. Am Sonntag spielten King Crimson im Admiralspalast, in ihrem Set fanden sich auch viele Stücke ihres Debütalbums.
Solche Konzerte mit verdienten Bands sind eine Art Zeitmaschine, bei der die Koordinaten durchaus durcheinandergeraten können. Jedenfalls bekam man bei der Herzlich-Willkommen-Durchsage vorab die Verhaltensregeln eingebläut: dass man nämlich seine Smartphones stecken lassen solle und nicht fotografieren, filmen oder sonst wie seine digitale Technik nutzen. Sondern sich einfach mal, wie früher, auf seine Ohren und Augen zur Zeugenschaft verlassen.
Sehen konnte man, dass die neueste King-Crimson-Inkarnation gleich mit drei Schlagzeugern prunkte, prominent vorn auf der Bühne platziert. Deren Zusammenspiel war ein hübsches Beispiel für Arbeitsteiligkeit, bot zudem ein Mehr an Komplexität, noch mehr Noten. Das war aber nicht gleichbedeutend mit mehr Wumms im Sinne des Rock’n’ Roll.
Wobei man sowieso darüber streiten konnte, ob es sich hier überhaupt um ein Rockkonzert handelte – trotz der durchaus sehr körperlich argumentierenden Musik von King Crimson. Die halt so rockt, wie das auch die Musik von Bartók kann.
Nicht nur deswegen hätte man sich das Konzert gut im Rahmen des derzeit stattfindenden Musikfests Berlin vorstellen können, dessen Programm in diesem Jahr von Beethoven bis Frank Zappa reicht. Dann wäre man weg von der reinen Popnostalgie und würde die Musik schlicht als Musik hören.
Die grimmigen, sublimiert aggressiven und extrem dicht komponierten Instrumentalstrecken der Band könnten wohl auch in diesem Bezugsfeld bestehen. Die mit Pathos aufgeplüschten Lieder, die die Band daneben im Programm hat, eher nicht. Diese Liedchen stecken doch in der Zeit, als King Crimson mit ihrem musikalischen Manierismus das Ding der Stunde waren, fest. Also im Jahr 1969.
Was aber halt die historische Wahrheit ist: King Crimson sind beides, der säuselnd begütigende Dr. Jekyll und – dunkler, bedrohlicher – der zupackende und kraftstrotzende Mr. Hyde. Und dieser Hyde kommt weiterhin bestens zurecht. King Crimson spielten insgesamt mit einer beeindruckenden, mitreißenden Akkuratesse.
Wärmestrom und Kältebad
Als die Band zum Schluss David Bowies „Heroes“ spielte (an dessen Erfolg damals ja Fripps Gitarrenarbeit einen beträchtlichen Anteil hatte), durchpulste ein Wärmestrom den Admiralspalast. Gleich danach das Kältebad mit „21st Century Schizoid Man“, King Crimsons Paranoia-Monster vom ersten Album. Eigentlich echter Headbanger-Stoff. Wenigstens zuckten die Köpfe in den Reihen des Admiralspalasts etwas heftiger.
Inzwischen war es doch fast schon ein Rockkonzert – bei dem übrigens das Publikum die Handys tatsächlich in der Tasche ließ. Erst als sie die Musiker selbst zu Erinnerungsfotos herausholten, nutzten auch die anderen die Chance. Womit man doch wieder – ganz handfest – in der wirklichen Gegenwart angekommen war.
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