Doris Akrap So nicht: Oh, wie schön sind Volksfeste mit Suffköpfen
Gegen Volksfeste habe ich nichts. Ich bin südlich des Weißwurstäquators aufgewachsen, die Hälfte meiner Familie ist südosteuropäisch katholisch, und ergo ist einer meiner besten Freunde das Volksfest. In Deutschland aber hat es das Volksfest schwer. Meistens wird es niedergebrüllt. Denn es geht fast ausschließlich darum, wer lauter ist: die aus den Lautsprechern dröhnende Musik von Matthias Reim oder das grölende Geröhre der Besoffen*en.
Es geht anders, man fahre beispielsweise zur Karwoche nach Sevilla. Eine Million Menschen halten sich während der Semana Santa im Zentrum der enggassigen Hauptstadt Andalusiens auf, und neben den üblichen Ständen für Zuckerwatte, Luftballons, Kühlschrankmagneten ist der Rest zwar irgendwann auch betrunken von Weihrauch, Wein und Dosenbier, aber nach zwölf Stunden Prozessionengucken ist das dann auch hoch verdient.
Wer andalusische Volksfeste gut findet, muss auch brandenburgischen was abgewinnen können, dachte ich und fuhr am Wochenende auf das Baumblütenfest nach Werder (Havel). Allein dass selbst auf der Homepage dieser ostdeutschen Gaudi immer Werder in Klammern Havel steht, regt mich schon auf.
Man kann das Fest auch von oben betrachten, von den Gärten, in denen man die tolle Aussicht auf das Haveltal hat. Aber irgendwann muss man hinunter in die Hölle, um zum Bahnhof zu kommen. Gemeinsam mit Tausenden besoffenen Landjugendlichen stolpert man dann des Weges und ist froh, wenn man nicht mit Johannis- oder Himbeerwein übergossen wird. Tag und Nacht kreist ein Polizeihubschrauber über dem Gelände, an jeder Kreuzung stehen Einsatzkräfte in Kampfmontur vor Räumpanzern und Mannschaftswagen – es fühlt sich an wie der 1. Mai in Kreuzberg.
Nur, dass man sich hier nicht mit der Polizei kabbelt, sondern sich gegenseitig auf die Fresse haut. Ständig brät irgendein Kerl einem anderen eine über, alle paar Meter boxt irgendein Halbstarker einem anderen Halbstarken auf die Nase, in die Rippen oder in den Nacken, und man ist ganz froh, wenn man den Helikopter rattern und die Polizisten-Aliens ranjoggen hört.
Die Fünftage-vorschau
Do., 2. 5.
Jürn Kruse
Nach Geburt
Fr., 3. 5.
Michelle Demishevich
Lost in Trans*lation
Mo., 6. 5.
Kefah Ali Deeb
Nachbarn
Di., 7. 5.
Sonja Vogel
German Angst
Mi., 8. 5.
Michael Brake
Nullen und Einsen
kolumne@taz.de
Endlich in der Regionalbahn angekommen, teilt man sich mit Tausenden Besoffen*en den Platz, lässt sich Johannisbeerweinreste aus Plastikflaschen und Kokslines auf Handydisplays anbieten und lauscht dem lautstarken Rumgeblöke von Besoffen*en: „Ick hasse Neukölln, Alda.“ Auf meine Frage, was denn da so schlimm sei, kommt die umwerfende Antwort: „Da wird nur rumgeschrien. Von morgens bis abends.“ – „Sie wohnen da?“ Es folgt lautes Prusten gefolgt von einem Gemisch aus Spucke und Johannisbeerwein. „Icke? Neeee, ick bin ja keen Kanake.“
Werder in Klammern Havel ist ein hübsches Städtchen. Vielleicht fahr ich noch mal hin, wenn es Spargel gibt. Daraus kann man wenigstens keinen Obstwein herstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen