Doping im Fußball: Tod statt Turbogenesung
Exstürmer Giorgio Mariani, 65, ist einem Krebsleiden erlegen. Sein Tod wirft erneut ein Licht auf die Dopingpraktiken im italienischen Fußball der 60er und 70er Jahre.
BERLIN taz | Ein berühmter Fußballer war Giorgio Mariani nicht. Der Stürmer mit der mageren Torquote von 18,35 Prozent (29 Tore in 158 Spielen in der italienischen Serie A) fiel zu Lebzeiten eher durch die vielen Vereinswechsel (zehn Klubs in 13 Jahren) auf. Erst mit dem Sterben machte er Schlagzeilen.
Sein in der letzten Woche durch Krebs verursachter Tod im Alter von nur 65 Jahren ließ an mittlerweile mehr als ein Dutzend Todesfälle von italienischen Fußballprofis denken, die in den 60er und 70er Jahren aktiv waren. Besonders der AC Florenz, bei dem Giorgio Mariani die Nachwuchsabteilungen durchlief und später drei Profijahre inklusive Meistertitel 1969 verbrachte, sticht als Stätte des Todes heraus.
Leukämie raffte den Mittelfeldrenner Bruno Beatrice im Alter von 39 Jahren hinweg. Der kantige Verteidiger Ugo Ferrante starb mit 59 an Kehlkopfkrebs, Stürmer Nello Saltutti mit 56 an einem Infarkt.
Eine nach einer Anzeige der Witwe Beatrices eingeleitete Untersuchung der Florentiner Staatsanwaltschaft machte auch auf die Todesfälle der Ex-Fiorentina-Spieler Giuseppe Longoni (64 Jahre, Herzprobleme), Massimo Mattolino (56, Nierenversagen) und Adriano Lombardi (62, Gehrig-Syndrom, eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems) aufmerksam.
Zudem trugen weitere heute schwer erkrankte Kicker wie Domenico Caso (Leberkrebs), Giancarlo Antognoni (Herzinfarkt) und Giancarlo Galdiolo (Demenz) in den 60er und 70er Jahren das Fiorentina-Trikot. Diese Häufung von Todesfällen und Erkrankungen prägte den Begriff vom "Fluch der Fiorentina".
Beatrices Witwe Gabriella Bernardini hielt eine Strahlenbehandlung ihres Mannes, die eine Turbogenesung nach einer Schambeinentzündung einleiten sollte, für dessen Todesursache. Das Verfahren wurde vor zwei Jahren wegen Verjährung eingestellt.
Wegen Aufputschmittel zwei Nächte nicht geschlafen
Gabriella Bernardini berichtete in den Jahren, die der Prozess währte, von weiteren dubiosen medizinischen Praktiken im Arbeitsfeld ihres Mannes wie etwa 90-minütigen Infusionen am Spieltag. Deren aufputschende Wirkung war enorm. "Danach hielt Bruno nicht eine Minute still. Der Effekt hielt bis zum Dienstag an. Die zwei Nächte dazwischen hat er praktisch nicht geschlafen", erinnerte sich Bernardini.
Im Umlauf waren neben Amphetaminen vor allem die Präparate Micoren und Cortex. Micoren führte zu einem höheren Sauerstoffgehalt im Blut, Cortex begünstigte die Erholung und die Muskelbildung. "Das war alles normal und weit verbreitet", erinnerte sich der später am Gehrig-Syndrom verstorbene Lombardi.
Selbst die heute als Trainer aktiven Fabio Cappello und Luciano Spalletti gaben in der Vergangenheit in italienischen Medien zu, in ihrer aktiven Laufbahn als Spieler Micoren eingenommen zu haben. Spalletti strich allerdings den leistungsmindernden Aspekt heraus.
Wissenschaftlich bisher keine Verbindung nachgewiesen
"Unter dem Einfluss von Micoren habe ich die schlechtesten Spiele gemacht und es danach nicht mehr genommen", erklärte er vor fünf Jahren. Zu seinen aktiven Zeiten war das Mittel noch nicht als Dopingsubstanz gebannt.
Wissenschaftlich ist bisher keine eindeutige Verbindung der Medikamentenvergabe mit den Krankheiten und Todesfällen erwiesen. Einige Profis sind jedoch von den Zusammenhang überzeugt. Der frühere Inter-Stürmer Ferruccio Mazzola beschieb in einem 2004 herausgekommenen Buch, wie der legendäre Inter-Coach Helenio Herrera den Spielern Pillen ausgab, die sie unter die Zunge zu nehmen hatten.
Er vermutete darin Aufputschmittel und hielt die frühzeitigen Todesfälle von insgesamt sieben Inter-Spielern der 60er Jahre für ein Produkt dieser Praktiken. Der Klub strengte einen Verleumdungsprozess gegen Mazzola an, verlor diesen jedoch und musste die Gerichtskosten übernehmen.
Der in der letzten Woche verstorbene Mariani verbindet mit seiner Karriere die beiden Todesklubs. In den 60er Jahren spielte er in Florenz, 1973/74 bei Inter, pikanterweise genau in der Saison, in der Herrera dort auch wieder wirkte. Sein Tod falsifiziert auf makabere Art selbst einen Ausspruch eines bisher Davongekommenen.
"Lieber lebe ich auf der Bank, als als Stammspieler zu sterben", hatte der frühere Serie-A-Profi Aldo Agroppi vor fast genau vier Jahren während des Beatrice-Prozesses gesagt und vor den Spätfolgen einer medikamentös erzeugten Dauerspitzenperformance gewarnt. Mit Giorgio Mariani hat es nun einen ehemaligen Bankdrücker erwischt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los