Dokumentation: Der Eklat im Wortlaut
Die CDU-Abgeordneten sind am Donnerstag unter Protest aus der laufenden Sitzung des Abgeordnetenhauses ausgezogen, da sie sich von der SPD als Verfassungsfeinde verunglimpft sahen. Die taz dokumentiert die entscheidenden Stellen der Debatte im Wortlaut.
Zu Beginn der Sitzung des Abgeordnetenhauses beschlossen alle Fraktionen ohne Debatte eine gemeinsame 8080/starweb/adis/citat/VT/16/DruckSachen/d16-2300.pdf:Resolution gegen den NPD-Bundesparteitag (PDF) an diesem Wochenende in Berlin. Anschließend ging es um das Thema der aktuellen Stunde. Die Fraktionen stellten dabei der Reihe nach ihre Vorschläge vor, es begann die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill:
Die Oppositionsfraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus haben Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) am Freitag scharf kritisiert und eine Entschuldigung von ihm gefordert. Momper habe einen Tag zuvor in der Plenarsitzung die bereits durch die Äußerung seiner Parteigenossin Ülker Radziwill "angeheizte Situation" eskalieren lassen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von CDU, Grünen und FDP. Die Opposition kritisierte insbesondere, dass Momper die Äußerung von Radziwill nicht gerügt habe. Dies sei ein "Armutszeugnis" für den Parlamentspräsidenten. Ihm seien "alle Maßstäbe für eine überparteiliche Sitzungsleitung verrutscht", teilten die Fraktionen weiter mit. Es sei nicht zuzulassen, dass der Präsident die Situation durch die "völlig verfehlten und ungeeigneten Äußerungen seiner Genossin" eskalieren ließ. Man erwarte von Momper und Radziwill "die Größe und den parlamentarischen Anstand", sich zu entschuldigen und die Äußerungen wieder "zurechtzurücken". DPA
Radziwill: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Themenvorschlag der Koalition für die Aktuelle Stunde lautet „Klarheit für Arbeitslose und Beschäftigte in Jobcentern – die Reform muss schnell kommen!“ Eine Vorbemerkung: Das Bundesverfassungsgericht hat am 20. Dezember 2007 entschieden, dass die derzeitige Mischverwaltung, also die Zusammenarbeit der Bundesagentur für Arbeit mit den Kommunen im SGB II, unzulässig ist und maximal bis zum 31. Dezember 2010 zu gelten hat. Der Bundesminister für Arbeit, Olaf Scholz, SPD, hat seine Arbeit getan. Ein denkbarer Kompromiss wurde am 13. Februar dieses Jahres vorgelegt – ein mit Vertretern der Union verhandelter Vorschlag liegt auf dem Tisch. Das Maximum, was in einer großen Koalition verhandelbar ist, ist herausgearbeitet. Was ist nun passiert – und das begründet auch die Aktualität unseres Themenvorschlages? – Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat am 17. März dieses Jahres diesen Vorschlag des Bundesarbeitsministers abgelehnt. Man könnte meinen, die Verfassungsfeinde befinden sich in der Mitte des Bundestages, genauer gesagt halb rechts in der CDU/CSU-Fraktion. Man weigert sich, einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen, denn bisher liegen keine seriösen und realisierbaren Vorschläge der Gegner des Kompromissvorschlages vor.
(Zwischenruf der CDU-Abgeordneten Marion Kroll: Den Vorschlag muss der Bundesarbeitsminister machen!)
Radziwill: Ein Verweigerungszustand soll fortgesetzt werden.
(Zwischenruf des CDU-Abgeordneten Mario Czaja: Sie haben wohl einen Knall!)
Radziwill: Wozu das Ganze, fragt man sich? Will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Bundesverfassungsgericht zeigen, was man von ihm hält? Oder will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Bundeskanzlerin zeigen, dass man von ihr nichts hält? (...)
Radziwill brachte ihre Rede noch zu Ende. Anschließend stellten die anderen Fraktionen ihre Vorschläge für die aktuelle Stunde vor. Für die CDU sprach der Abgeordnete Nicolas Zimmer über das Universitätsklinikum Benjamin Franklin, ohne auf Radziwill einzugehen. Anschließend meldete sich Uwe Goetze, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, mit einem Antrag zur Geschäftsordnung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erste Rednerin in der politischen Debatte hat Frau Ülker Radziwill von der SPD-Fraktion die Aktuelle Stunde zum Thema Jobcenter begründet. Im Rahmen dieser Begründung hat Sie formuliert: Man könnte meinen, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion säßen Verfassungsfeinde. – Das ist eine absolut unsägliche und unakzeptable Formulierung, die wir auf das Schärfste zurückweisen, und die deshalb noch unerträglicher wird, weil wir wenige Minuten zuvor eine gemeinsame Erklärung gegen die NPD und ihren Bundesparteitag hier in Berlin verabschiedet haben. Das ist Ihr Umgang hier im Haus.
(Beifall bei der CDU und der FDP)
Goetze: Das Mindeste, was wir erwarten, ist eine kräftige Rüge des Parlamentspräsidenten für diesen Ausspruch.
(Zwischenruf des CDU-Abgeordneten Michael Braun: Von dem kann man gar nichts erwarten!)
Goetze: Wir erwarten hier auch eine Entschuldigung von Frau Radziwill. Ich bitte darum, die Sitzung für fünf Minuten zu unterbrechen, damit wir unser weiteres Vorgehen in der Sache besprechen können.
(Zurufe von der Linksfraktion: Oh nein!)
Goetze: Sie können überlegen, ob Sie in solch einer Situation, in der Sie die Behauptung aufstellen, die demokratischen Kräfte müssen und würden zusammenstehen gegen die NPD, die Stimmung in dieser Weise vergiften wollen. Wir erwarten eine klare Stellungnahme und die Rücknahme dieser Äußerungen.
(Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP)
Es anwortete Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion:
Gaebler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Goetze, wenn ich es richtig sehe, hat Frau Radziwill gesagt: „Man könnte meinen“.
(Zwischenrufe der Linkspartei-Abgeordneten Wolfgang Brauer und Gabriele Hiller: Ja!)
Gaebler: Das mag Ihnen nicht gefallen. Ich sehe, dass hier offensichtlich Getroffenheit herrscht, weil Sie auf Bundesebene nicht agieren, sondern alles blockieren, und weil Sie sich nicht an Absprachen halten.
(Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion)
Gaebler: Das kann man auch einmal thematisieren. Aber sich hier hinzustellen und zu fordern, dass die Sitzung für fünf Minuten unterbrochen werden muss, damit Sie überlegen können, wie Sie damit umgehen,
(Zwischenruf der Linkspartei-Abgeordneten Elke Breitenbach: Sie hätten mal vorher denken sollen!)
Gaebler: das können Sie zwar tun, und wenn Sie einen konkreten Vorschlag haben, können Sie den hier gern vorbringen, aber weshalb wir deshalb die Sitzung unterbrechen müssen, kann ich nicht nachvollziehen. Wir können sehr wohl mit der Fragestunde fortfahren. Wenn Sie dann Anträge hinsichtlich Ältestenrat oder anderer Verfahren haben, können Sie die gern einbringen und wir werden es erwägen. Was eine fünfminütige Denkpause erbringen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Wir lehnen deshalb Ihren Antrag ab. – Vielen Dank!
(Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion)
Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) sagte daraufhin:
Momper: Herr Kollege Goetze! Ich sehe keinen rügenswerten Vorgang und kann das auch noch einmal genau zitieren. Nach dem Protokoll hat Frau Radziwill gesagt: „Man könnte meinen, die Verfassungsfeinde befinden sich in der Mitte des Bundestages, genauer gesagt halbrechts in der CDU/CSU-Fraktion.“ Sie hat es eingeschränkt mit „man könnte meinen“. Aber ich will, bevor abgestimmt wird, noch ein Weiteres sagen. Dem Protokoll habe ich entnommen, dass der Kollege Czaja von der CDU-Fraktion zur Rednerin gerufen hat: „Sie haben wohl einen Knall!“. Das allerdings rüge ich ausdrücklich!
(Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall von der Linksfraktion – Zurufe von der CDU)
Momper: Es war der Antrag auf Unterbrechung der Sitzung gestellt worden
(Zwischenruf des CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Henkel: Ihre Sitzungsführung ist parteipolitisch in den letzten Jahren!)
Momper: Herr Kollege Henkel!
Henkel: Das ist eine Unverschämtheit! Sie sind ein Parteipräsident! Nicht würdig, auf dieser Bank zu sitzen! Nicht würdig – könnte man meinen!
Momper: Herr Kollege Henkel! Ich mache Sie auf die Geschäftsordnung aufmerksam und rufe Sie zur Ordnung wegen Ihrer Äußerungen.
(Beifall bei der SPD)
Momper: Meine Damen und Herren! Es ist der Antrag gestellt worden, die Sitzung zu unterbrechen. Darüber lasse ich abstimmen. Wer dem Antrag auf Unterbrechung der Sitzung seine Zustimmung gibt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind FDP, CDU und vier Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön! Die Gegenstimmen! – Das sind die beiden Koalitionsfraktionen. – Letzteres war die Mehrheit. Dann ist der Antrag abgelehnt, und wir fahren in der Tagesordnung fort.
Die Abgeordneten der CDU zogen daraufhin geschlossen aus dem Plenarsaal aus. Parlamentspräsident Momper leitete die Sitzung weiter. Auf dem nächsten Punkt der Tagesordnung standen die mündlichen Anfragen der Abgeordneten an den Senat. Die CDU-Abgeordneten verzichtete auf ihre mündlichen Anfragen und blieben der Sitzung bis zum Ende fern. Die Quelle dieser Dokumentation ist das vorläufige Parlamentsprotokoll des Abgeordnetenhauses.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!