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DokumentationDie Sprengkraft der sozialen Themen vergessen

■ Renate Künast, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, über die Oppositionsrolle ihrer Partei

[...] Zu Recht nimmt [...] die (meinungsbildende) Öffentlichkeit erste Umfrageergebnisse, die rechnerisch Rot-Grün möglich machen, nicht allzu ernst oder gar als Hoffnungsstreifen am Horizont. [...] Ein gerüttelt Maß tragen wir selbst dazu bei. Zwei Klausuren in Wiepersdorf, bei denen wir uns viel Zeit für „unsere“ Geschichte genommen haben, haben auch Kraft gekostet. Es ist und bleibt richtig, daß wir uns die Zeit genommen haben, tatsächlich in Ansätzen Aufarbeitung zu beginnen, d. h. uns zu erzählen, „was war“ in Ost und West. Aber das darf nicht zu einer konstanten Wendung nach innen [...] führen.

[...] Von den klassischen Themen, die sich aus der Geschichte der AL, des Bündnis 90 [...] ergeben, haben wir uns nicht emanzipiert. Den intellektuellen Mittelstand in Ost und West vertretend, machen wir uns verdient um das Demokratieprinzip. Schwierig genug und nicht zu unterschätzen, da gerade Zeiten wie diese dazu angetan sind, demokratische Errungenschaften mit populistischen Begründungen über Bord zu werfen.

Aber: Unser Mangel liegt in der fehlenden Öffnung für klassische soziale Themen, als sei uns deren Sprengkraft noch nicht bewußt. Die umfassende Zurückdrängung von Frauen zurück an den Herd, deren umfassende berufliche Dequalifizierung, der Sprengsatz Mietentwicklung, der die Stadt von bestimmten Bevölkerungsgruppen entvölkern wird. Bis hin zur zunehmenden innenpolitischen Spannung durch die ungleiche finanzielle Belastung infolge der Einheit für Arme und Reiche, Industrie und Private.

[...] Kennzeichnend für unsere interne Arbeitsweise und dementsprechende Außenwahrnehmung ist ein extrem ausgeprägter Lobbyismus und eine Interesselosigkeit an gesamtpolitischer Verantwortung und Sichtweise. [...]

Gerade dem AL-Teil der Fraktion muß klar sein, daß wir durchaus erneut an einem Scheideweg stehen: Eine Regierungsbeteiligung und damit die Chance, die Stadt auch mit diesem Mittel anders zu gestalten, als es heute Schwarz-Rot tut, wird es auch nicht zu den Preisen von 1990 geben. Was damals die sogenannten Essentials waren, ist heute die an uns selbst zu stellende Frage, ob wir auch in der Regierungsverantwortung in der Lage wären, notwendige Einsparungen öffentlich zu vertreten; ggf. fette Kröten in Sachen Olympia oder Regierungsentscheidungen zu schlucken [...], um in anderen Bereichen Zeichen setzen zu können. [...] Wir müssen Interessenvertretung werden, die sich inhaltlich und strukturell ernsthaft als Teil einer Alternative zu Schwarz-Rot bezeichnen kann. Dies darf keine Aufgabe grundsätzlicher Positionen, sondern muß eine intelligente Aufsplittung in globales Denken und Fordern des Utopischen sein, auf der anderen Seite konkrete – bei den heutigen Bedingungen finanzierbare – Reformpolitik aufzeigen. Wir müssen Interessenvertretung werden, die nicht ungefiltert alles weitergibt und damit nichts umsetzt, sondern bündelt. [...] Renate Künast

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