Dokumentation: Das Problem ist nicht die Frau
■ Stellungnahme des Notrufs für vergewaltigte Frauen
Das Team des „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ bezieht sich auf die Texte „Keine Vergewaltigungshochburg“ und „Es gibt keinen bestimmten Opfertyp“ (taz 3.11.) sowie auf einen Leserbrief der WenDo-Trainerinnen (10.11.)
“1. Es ist nicht Aufgabe der Frauen und Mädchen, zu vermeiden, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Die Aufforderung an Frauen, durch ein entsprechendes Verhalten und durch Wahrnehmungsschulung Vergewaltigungen zu verhindern, verkehrt die Frage des Verursachenden. Während die Ratschläge sich einst auf die Vermeidung von Attraktivität (keinen Minirock tragen, nicht alleine ausgehen u.ä.) richteten, wird auch heute die Weiblichkeit als Mangel und Defekt beschrieben (Wahrnehmungsunfähigkeit, „schwaches Auftreten“), die letztlich Übergriffe provoziert. Einige Feministinnen sind sich hier mit konservativen Viktimologen einige: Das Problem ist die Frau.
2. Opfer von Vergewaltigungen werden Frauen jeglicher Statur, jeglichen Alters, jeglichen Auftretens in den verschiedensten Situationen. Psychisches Ziel der Vergewaltigung ist die Unterwerfung und Demütigung einer Frau. Für die Betroffene bedeutet eine Vergewaltigung ein schwerwiegendes traumatisches Ereignis mit der Erfahrung, daß alle üblicherweise vorhandenen psychischen Funktionen und Handlungskompetenzen versagen. (...). Frauen, die sich „vorbereitet“ glauben, erleben hier besonders schwerwiegende Gefühlseinbrüche. Es ist Opfern gegenüber zynisch, anzunehmen, diese hätten der Vergewaltigung unbeschädigt entkommen können, wenn sie sich nur vorher „traniniert“ hätten.
3. Selbstverteidigungskurse können sicher zur körperlichen Ertüchtigung sinnvoll sein und Spaß machen. Sie dienen aber nicht der Vermeidung einer Vergewaltigung. Diese Idee dient vielmehr jenen, die hoffen, nicht zu den Opfern gehören zu müssen. Es kann gefährlich sein, sich in einer Pseudo-Sicherheit zu wähnen; eine trainierte Stärke darf nicht mit einer tatsächlichen verwechselt werden. Aus einem eigenen Gefühl des Unwertes als Mann neigen Täter zur Unterwerfung einer als unterlegen empfundenen Frau, dabei machen sie aber auch vor stark wirkenden Frauen nicht halt. Während sie offenbar durchaus spüren, wann sich hinter der Stärkedemonstration das Gegenteil verbirgt, haben auch die Opfer in einer solchen Situation ein durchaus funktionierendes Gespür für das situative Ausmaß an Destruktivität und verhalten sich entsprechend. Es ist wichtig, den Frauen, die Opfer wurden, ihre Wahrnehmung nicht abzusprechen. Frauen, die sich wehren und damit eine Vergewaltigung abwenden, tun dies fast immer aus einer emotionalem Wahrnehmung der Situation heraus, die spüren läßt, daß dies die Bedrohung nicht steigert. Frauen, die sich (körperlich und auf andere Art) wehren, berichten von ebenso ernst zu nehmenden Wahrnehmungen, die dieses Verhalten sinnvoll machten. Die Folgen einer versuchten Vergewaltigung sind jedoch meist ebenso schwerwiegend wie bei einer vollendeten.“
Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle des „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“
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