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■ DokumentationIst das gerecht?

Gestern empfing Alexander Kluge in Köln den Heinrich- Böll-Preis. Die Laudatio sollte ursprünglich Helmut Thoma halten, der Geschäftsführer von RTL. Doch nachdem die Veranstalter Einblick in sein Redemanuskript erhalten hatten, kamen ihnen in vorletzter Minute Bedenken. Thoma wurde ausgeladen, die Rede weggeschlossen. Willi Winkler spürte das Geheimdokument für die taz auf.

Hochverehrter Herr Professor, lieber Kollege Kluge, illustres Publikum, geschätzte Gäste,

es mag manchem unter Ihnen ein wenig unheimlich vorkommen, wenn der Chef des erfolgreichsten deutschen Senders eingeladen wird, um Ihnen im Namen des großen Kölners Heinrich Böll den Poeten und Filmkünstler Alexander Kluge zu rühmen. Vermutlich ist doch nur wenigen geläufig, daß Dr. Kluge und ich Bundesbrüder sind, vereint unter dem Dach von RTL.

Mein Programmauftrag geht heute dahin, die geistige Verwandtschaft ins rechte Licht zu rücken, die mich mit Dr. Kluge verbindet. Unsere Sendelizenz, erteilt im Bundesland Nordrhein-Westfalen, ist an die Bedingung geknüpft, daß wir nebenher einen gewissen Kulturauftrag erfüllen. Den erfüllt uns Dr. Kluge als Geschäftsführer der Firma DCTP derart vorbildlich, daß uns montags, wenn sein Kulturmagazin „10 vor 11“ läuft, die Zuschauer rasant davonlaufen. Aber laut Staatsvertrag darf man ihm ja nicht dreinreden, dem Dr. Kluge.

Am 21.Januar 1991 lief um 22 Uhr 46 in dem von ihm allein verantworteten Kulturmagazin „Das goldene Vlies und die Catchpenny-Drucke in Blei“. Autor: Alexander Kluge. In der für ihn üblichen Weise montierte Kollege Kluge historische Filmaufnahmen von Hinrichtungen, Sensationsgeschichten aus alten Zeitungen sowie eine Szene aus dem Film „Der Todesking“ von Jörg Buttgereit, in der eine Frau in Nazi-Uniform einem gefesselten Mann mittels einer Gartenschere den Penis abschneidet.

Jetzt frage ich Sie: Ist das gerecht? Ich meine, stellen Sie sich doch bitte einmal vor, was los wäre, wenn wir bei RTL vor 23 Uhr das bewußte Körperteil bloß im Halbschatten zeigten! Dutzendweise protestierten die Landfrauenverbände und Männergruppen, und wieder wären wir der Schmuddelsender RTL.

Und nun? Herr Kluge erhält für sein „Goldenes Vlies“ den Grimme-Preis in Gold. Ich hingegen, der ich durch den Staatsvertrag gezwungen bin, Herrn Kluges künstlerisch hochwertige Beiträge zu senden, erhalte in meiner Eigenschaft als Geschäftsführer von RTL am 19.12. 1991 einen Bescheid vom niedersächsischen Landesrundfunkausschuß, nach dem ich gegen ebendiesen Staatsvertrag verstoßen hätte. Die bewußte Szene im „Goldenen Vlies“ schildere „eine unmenschliche Gewalttätigkeit in einer die Menschenwürde verletzenden Weise“ und könne bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine „traumatisierende Wirkung“ haben. Was aber tut Dr. Kluge? Er läßt mich in der politischen Verantwortung (das Verfahren ist noch anhängig) und als Kinderschänder stehen. Dr. Kluge beauftragt Horst Scarbath als Sachverständigen, der in einem dreißigseiten Gutachten die Sonderstellung behandelt, die „10 vor 11“ in der Programmstruktur von RTL einnimmt – es geradezu als „Fremdkörper“ preist.

Weil ich der Chef des nicht zufällig erfolgreichsten deutschen Senders bin, bleibt mir die Abmahnung. Herr Kluge aber läßt sich dafür auszeichnen, daß er sich bei mir eingenistet hat, mir die Zuschauer davonjagt und sie vorher noch ordentlich traumatisiert.

Ein letztes Mal frage ich Sie: Ist das gerecht? Bin ich nicht ebenso wie Prof. Kluge ein Märtyrer der Kunst, ein Opfer banausischer Kleingeister? Bin ich nicht – verehrte Gäste, liebe Freunde –, bin ich nicht ein ebenso würdiger Preisträger wie Alexander Kluge? Entscheiden Sie selbst. Der Preis ist heiß.

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