Dokumentation: betrifft: silvesterkrawall
■ liebe taz, lieber ortsamtsleiter bücking, liebe betroffene öffentlichkeit,
„da habt ihr es, das argument der straße, sagt bloß jetzt nicht: das haben wir nicht gewollt“ (degenhardt, 1967) ihr gebt euch so schockiert. warum das laute gezeter wegen ein paar zerbrochener scheiben zum alljährlichen ritual?? weil ihr euch für dieses fest soviel vorgenommen und euch davon soviel versprochen habt? vielleicht einen krawallverzicht derer, denen ihr bei anderen gelegenheiten gerne die möglichkeit der artikulation und die euch zur verfügung stehenden mittel versagt? etwa zur gelegenheit der nationalistischen einheitsfeier, des frauenprojekt-abrisses im buntentor, der ständigen hetze gegen junkies und obdachlose, der ständigen offensichtlichen umstrukturierung im viertel, auf dem weidedamm und an anderen stellen der stadt; dem massenhaften leerstand potentiellen wohnraums, z.b. zu spekulationszwecken. die mieten in der stadt sind für viele studierende, die wachsende zahl arbeitsloser und unterbezahlt arbeitender kaum oder nicht tragbar. die zunehmende schicki-mickisierung des viertels samt der pläne, daraus eine freß- und konsummmeile bis zum schwarzen meer zu bauen, kann halt auf dauer nicht so sozialverträglich vonstatten gehen wie ihr euch und eurer klientel so gerne in die tasche lügt.
der abschiebeknast ostertorwache, direkt vor eurer nase – die mensch darin von den bütteln des stadtstaates eingesperrt, rassistisch drangsaliert und nicht selten mißhandelt, in erwartung von gefangenschaft und folter in ihre herkunftsländern – stört euch nicht. eure betroffenheit reicht genau bis zu einer verpatzten party, die den sozialen protest schön friedlich in das ach so tolle alternativ-konsum-viertel integrieren sollte und einiger zertretener schaufenster von geschäftsleuten, denen das finanziell beileibe nichts ausmacht, Die lösung für euer krawall-problem liegt näher als ihr glaubt: verweigert euch einfach mal dem bremischen lokalnationalismus, der eine prunk-city für die upper-middle-class aus der innenstadt macht; kämpft mit, falls demnächst mal wieder ein haus gegen den wohnraumzerstörungs-zwang von spekulanten und behörden besetzt und bewohnbar gemacht wird. versteckt flüchtlinge vor dem zugriff der abschiebebehörden und empört euch endlich laut über die normalität von abschiebung und rassismus in dieser stadt. setzt euch ein für die legalisierung aller drogen, damit die ewige kriminalisierung von junkies und ihre herbeigeführte verelendung aufhört.
wenn ihr euch vielleicht mal bereit zeigen würdet, aus richtigen gründen empört zu sein und daraus auch mal konsequenzen zu ziehen, könnten wir vielleicht ins gespräch kommen.
euer heuchlerischer berichterstattungs-populismus bleibt jedenfalls verlogen und gegenüber den krawallursachen genauso ignorant wie der martialische wasserwerfereinsatz am 31.12.
ich selbst sehe in der randale keine heldentat, grüße euch jedoch abschließend mit öffentlicher freude über den anblick kaputter schaufenster von viertel-scharfmacher caesar oder eines frauenverachtenden „dessous“-ladens am dobben-eck.
erna thälmann, blumenstr. 16
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