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DokumentationSchröders erste Reichstags-Worte

■ Bundeskanzler lobt die Anpassungsleistung der Ostdeutschen

„Der Umzug nach Berlin ist kein Bruch in der Kontinuität deutscher Nachkriegs-Geschichte. (...) Die gelungene Bonner Demokratie, die Politik der Verständigung und guten Nachbarschaft, die feste Verankerung in Europa und im atlantischen Bündnis, aber auch die Ausstrahlung eines Lebens in Freiheit haben dazu beigetragen, die ,Berliner Republik‘ im geeinten Deutschland zu ermöglichen. (...) Und noch etwas wird bleiben: Die Probleme und Aufgaben nehmen wir mit, wenn wir von Bonn nach Berlin umziehen. (...) Sicher: Der Umzug nach Berlin ist auch eine Rückkehr in die deutsche Geschichte, an den Ort zweier deutscher Diktaturen, die großes Leid über die Menschen in Deutschland und Europa gebracht haben. Aber ,Reichstag‘ mit 'Reich‘ gleichzusetzen, wäre genauso unsinnig, wie Berlin mit Preußens Gloria und deutschem Zentralismus zu verwechseln. (...) Mir scheint, dies ist der richtige Ort und die richtige Zeit, eine Zwischenbilanz der deutschen Einheit zu ziehen. Der richtige Ort, weil so, wie Bonn schließlich doch für den Westen der Republik steht, Berlin das vereinte Deutschland symbolisiert. (...) Die Mauer wurde von Ost nach West eingedrückt – und nicht etwa vom Westen geschleift. Eine behütet aufgewachsene Generation im Westen hat sich allzuoft herausgenommen, Biographien von Menschen aus dem Osten herabzuwürdigen – ohne sich auch nur einmal die Frage zu stellen: Wie hätten wir uns denn unter ähnlichen Bedingungen verhalten? Die Anpassungsleistung mußte fast ausschließlich von den Menschen in den neuen Ländern erbracht werden. Das war oft schwierig, mitunter auch schmerzhaft. (...) Machen wir uns keine Illusionen: Die Unterschiede in der Befindlichkeit, auch im Geschichtsbewußtsein, die gegenseitigen Ressentiments werden wohl noch eine ganze Weile bestehen bleiben.(...) Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber es kann nicht oft genug wiederholt werden: Der deutsch-deutsche Lernprozeß, das Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört, ist beiderseitig! Die junge Generation ist viel weniger belastet von 40 Jahren Teilung. Diese Jugend genießt die Einheit in vollen Zügen – sofern sie erlebt, daß sie in dieser Einheit eine Zukunftschance hat. Denn eine frustierte Jugend, das haben wir oft genug bitter erfahren müssen, kann verführt werden zu Extremismus, Haß und Fremdenfeindlichkeit.(...) Mir geht es nicht um eine gesamtdeutsche Identität. Sondern um die Herausbildung einer gemeinsamen Identität der Deutschen, der in Deutschland Lebenden. (...) Wir kommen eben nicht nach Berlin als Rückkehr in eine 'Mittellage‘, die zu deutschen 'Sonderwegen‘ verführen könnte. Wir gehen vorwärts in die Mitte Europas.(...) In den vergangenen Wochen hat sich dramatisch vollzogen, was als neue deutsche Verantwortung im Grunde seit Ende des Kalten Krieges und der staatlichen Einigung Deutschlands absehbar war. (...) Ich möchte in diesem Zusammenhang Ismail Kadaré zitieren, den bekanntesten und vielfach preisgekrönten Schriftsteller Albaniens. 'Der Balkan ist der Hof des europäischen Hauses, und in keinem Haus kann Frieden herrschen, solange man sich in seinem Hof totschlägt‘.(...) Die Epoche nach dem Ende des Kalten Krieges verlangt von uns, daß wir Europa politisch neu definieren.(...) Mehr als alles andere braucht Europa heute Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.“

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