■ Dokumentation des jüngsten Berichtes zu Bad Kleinen: „... Zugriff erfolgt... “
Wir dokumentieren die regierungsamtliche Version der entscheidenden Phase der mißglückten Festnahmeaktion, wie sie im zweiten Entwurf des „Zwischenberichts der Bundesregierung zur Polizeiaktion in Bad Kleinen“ beschrieben wird. Danach nahm das Verhängnis seinen Lauf, als der Beamte Nummer 4 einen Funkspruch nur verstümmelt aufnahm, sich verfrüht von seinem Posten entfernte und so Wolfgang Grams eine Fluchtmöglichkeit eröffnete. Der These von der Verwechslung von V-Mann und RAF-Mitglied wird so indirekt widersprochen. Dem Innenausschuß des Bundestags wird die endgültige Fassung des Zwischenberichts am Mittwoch vorgelegt.
6. Ablauf in und nach
Verlassen der Gaststätte
Gegen 14.45 Uhr betrat ein MEK-Beamter des BKA das „Billard-Café“ und nahm Platz. Er war mit einem verdeckten Einsatzmittel ausgestattet und hatte die Aufgabe, das Verlassen der Gaststätte durch die Zielpersonen mit einem besonderen Signal anzuzeigen. Um 14.50 Uhr erging folgende Auftragskonkretisierung durch den Abschnittsleiter „Weinlese“:
„– kein Zugriff, wenn nur eine Zielperson die Gaststätte verläßt, um evtl. eine weitere Zielperson abzuholen, – Zugriff nur, wenn beide Zielpersonen zusammen die Gaststätte verlassen.“ Als HOGEFELD, GRAMS und die V-Person gegen 15.15 Uhr das Billard-Café verließen, gab der MEK-Beamte das vereinbarte Signal, so daß alle mit Funk ausgestatteten Kräfte informiert waren.
7. Aufstellung der
Zugriffskräfte
7.1 BKA
Die Kräfte waren wie folgt postiert: Der Abschnittsleiter „Weinlese“ befand sich in seiner Befehlsstelle in Wismar. Die MEK-Kräfte waren wie folgt eingesetzt: Zur äußeren Abschirmung bzw. Observation des Bahnhofsbereichs (Observations-Glocke) waren um den Bahnhof herum insgesamt 16 MEK-Beamte und ein Techniker postiert. Je ein weiterer Beamter befand sich im Billard-Café, im ca. 160m vom Treppenaufgang zu Bahnsteig 3/4 entfernten Stellwerk und in der Nähe der alternativen Zugriffsposition am Gleis 2 (hinter der Gaststätte).
7.2 GSG 9
Die GSG-9-Beamten hatten wie folgt Position bezogen: Als Beobachter auf dem Bahnsteig 3/4 stand der Beamte Nr.4. Er hatte hier die beste Sicht auf die Bahnhofsgaststätte und das Gelände; nach dem Zugriff sollte er die Festnahme sichern. Der Führer des Zugriffstrupps (Beamter Nr.3) und der Beamte Nr.8 standen auf der Treppe zum Bahnhofsvorplatz. Dies war zur Aufrechterhaltung der Kommunikation erforderlich, weil im Tunnel Funkschatten war. Am unteren Fuß dieser Treppe standen in Deckung hinter einer Mauer die Beamten, Nr.1, 2, 5, 7 und PK Newrzella. Der Beamte Nr.6 war ihnen gegenüber im Tunnel so postiert, daß er Sichtkontakt mit ihnen hielt und gleichzeitig in die Unterführung blicken konnte. Der Beamte Nr.9 war der Einsatzleiter, der sich abgesetzt in seinem Führungs-Kfz aufhielt.
Der GSG-9-Beamte Nr.4, der als Beobachter auf dem Bahnsteig 3/4 eingesetzt war, nahm durch die Fenster der Gebäudeaußenwand wahr, wie die beiden Zielpersonen und die V-Person den Gang vor dem Billard-Café betraten und in Richtung der Treppe zur Unterführung unter den Gleisen gingen. Über Funk gab er die Durchsage „Ausgang“.
8. Ablauf nach Freigabe
des Zugriffs
Nach der Durchsage „Ausgang“ gab der Leiter des Unterabschnitts „Zugriff“ um 15.15 Uhr den Zugriff frei. Der Truppführer und sein Begleiter begaben sich daraufhin sofort zu den fünf Beamten am Fuß der Treppe, um auf das vereinbarte Handzeichen des in der Unterführung stehenden Kollegen hin die Festnahme vorzunehmen. Die Zielpersonen betraten die Unterführung und gingen in Richtung Bahnhofsvorplatz. GRAMS ging bis zu dem Podest am Fuß der Treppenaufgänge zu Bahnsteig 3/4. HOGEFELD blieb einige Meter hinter ihm an einem Fahrplanaushang stehen, die V-Person in etwa gleicher Höhe auf der gegenüberliegenden Seite des Tunnels. GRAMS wartete auf dem Podest.
Der Beamte Nr.4 auf dem Bahnsteig 3/4 verließ seinen bisherigen Standort, als er über Funk die Durchsage „Zugriff erfolgt“ gehört hatte. (Anm.: Aus dem Funkmitschnitt des Sprechfunkverkehrs der Zugriffskräfte ergibt sich hierzu folgendes: Der Unterabschnittsleiter „Zugriff“ hatte durchgegeben: „Wenn Zugriff erfolgt, kontrolliert den blauen Opel Kadett“. Diese Durchsage wurde über Funk nur bruchstückhaft übertragen, so daß nur die Worte „Zugriff erfolgt“ fälschlicherweise durch einen Beamten wiederholt wurden. Der Beamte Nr.4 hörte nur diese Wiederholung. Das in der Funkdurchsage angesprochene verdächtige Fahrzeug Opel Kadett war kurz nach dem Zugriff von MEK-Kräften überprüft worden, ohne daß ein Zusammenhang zur laufenden Maßnahme festgestellt wurde.)
8.1 Auslösung des
unmittelbaren Zugriffs
Der Beamte Nr.4 begab sich zur Treppe in die Unterführung. Als er die Treppe hinabging, erkannte er – auch aufgrund der kurz zuvor durchgegebenen Personenbeschreibung – an deren unteren Ende die Zielperson 2 als GRAMS, die er zuvor vom Bahnsteig aus beim Verlassen des Billard-Cafés beobachtet hatte. Er schloß daraus, daß der Zugriff noch nicht erfolgt war. Er ging deshalb an GRAMS vorbei nach links in den Tunnel in Richtung der Aufgänge zum Bahnhofsgebäude und zum Bahnsteig 1/2. Als er etwa in Höhe der HOGEFELD war, hörte er die Anweisung des Beamten Nr.6 „jetzt“ und daß die übrigen Zugriffskräfte von hinten losstürmten. Der Zugriff war ausgelöst worden, weil sich beide Zielpersonen im Tunnel befanden, der Beamte Nr.4 in einer günstigen Position zu HOGEFELD war und sich zur gleichen Zeit keine Unbeteiligten im Tunnel aufhielten. Die Entfernung vom Versteck der Zugriffskräfte bis zum Podest, auf dem GRAMS stand, betrug etwa 15m.
8.2 Überwältigung HOGEFELD
und V-Person
Der Beamte Nr.4 überwältigte HOGEFELD sofort. Die V-Person wurde von einem der anstürmenden Beamten (Nr.1) überwältigt und bis 15.45 Uhr in der Unterführung gefesselt gehalten; HOGEFELD bis 15.55 Uhr. HOGEFELD hatte eine Pistole im vorderen Hosenbund, die V-Person war unbewaffnet.
8.3 Schußwechsel mit GRAMS
GRAMS schaute beim Losstürmen der Zugriffskräfte genau in deren Richtung. Er warf einen kurzen Blick nach links und rechts und rannte die nordöstliche Treppe zum Bahnsteig 3/4 hinauf. Die Zugriffskräfte folgten ihm in einem Abstand von zunächst ca. 9 bis 10m, den sie im weiteren Lauf verkürzten. Als GRAMS den Bahnsteig erreicht hatte, befanden sich die ersten der ihn verfolgenden sieben Beamten (Nrn.2, 3, 5, 6, 7, 8 und PK Newrzella) auf der Treppe. Unmittelbar nach Erreichen des Bahnsteigs drehte GRAMS sich um und feuerte auf die ihn verfolgenden Beamten. Er traf den ersten Verfolger, PK Newrzella, der seine Waffe noch nicht gezogen hatte, mit mehreren Schüssen. PK Newrzella erreichte noch den Bahnsteig, ehe er dort zusammenbrach. Die übrigen Verfolger erwiderten nach den ersten (etwa drei) Schüssen, abgegeben von GRAMS, in Notwehr das Feuer.
Ständig schießend bewegte sich GRAMS vom linken Stützpfeiler (am Kopf der Treppe) weg längs des Geländers und näherte sich der Bahnsteigkante am Gleis 4. Beamter Nr.6 und Beamter Nr.5 hatten unterdessen den Bahnsteig erreicht. Hier wurde Beamter Nr.6 [muß richtig heißen Nr.5, d. Red] von Schüssen des GRAMS getroffen und fiel an der Treppe auf den Bahnsteig. Nach dem Schußwechsel suchte der verletzte Beamte hinter dem rechten Pfeiler der Treppe Deckung. Beamter Nr.6 erreichte den linken Stützpfeiler und ging dort in knieender Stellung in Deckung. Die übrigen Verfolger feuerten aus dem Treppenaufgang auf GRAMS.
Offensichtlich von einem Schuß getroffen, fiel GRAMS plötzlich von der Bahnsteigkante auf Gleis 4. Beamter Nr.5 [muß korrekt heißen Nr.6, Red.] stürmte vor, in kurzem Abstand gefolgt vom Beamten Nr.8. Beide sicherten stehend, in leicht vorgebeugter Haltung den im Gleis 4 liegenden GRAMS. GRAMS lag quer auf dem Gleis, die Füße zum Bahnsteig gerichtet, den Kopf auf der gegenüberliegenden Schiene. Die rechte Hand von GRAMS befand sich nach gegenwärtigen Erkenntnissen hinter dessen Rücken, wobei GRAMS linksseitig geneigt liegend aufgefunden wurde. Die Waffe hingegen befand sich vor dessen Gesicht in der Nähe seiner linken Hand.
Der Beamte Nr.6 nahm die Waffe des GRAMS auf, betrat den Bahnsteig 3/4 und legte die Waffe auf den Bahnsteig neben das seitliche Treppengeländer am Abgang zur Unterführung. Vor der Aufnahme der Waffe des GRAMS, die er vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand am Abzugsbügel aufnahm, hatte er sich einen schwarzen Handschuh angezogen, um keine Spuren zu zerstören. Die Aufnahme der Waffe konnte so erfolgen, da GRAMS während dieser Zeit von dem Beamten Nr.8 ununterbrochen gesichert wurde. Der Schußwechsel dauerte 5 bis 6 Sekunden, die gesamte Zugriffsmaßnahme vom Zeichen der Durchführung des Zugriffs bis zur Sicherung des auf dem Gleis liegenden GRAMS etwa 25 Sekunden.
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