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Archiv-Artikel

Dokumentarfilm „Wo anders sein“ im Lichtmeß „Ich drück mir die Daumen“

Fast könnte man es für ein normales Frühstück halten. Junge Frauen sitzen um einen gedeckten Tisch herum, die Adventskerze in der Mitte verbreitet weihnachtliche Stimmung. Auch an Nutella wurde gedacht. Doch weder das Nutella, noch die Kerzen können darüber hinweg täuschen, dass die Frauen hier nicht gemeinsam essen, weil sie Freundinnen sind. „Du Aids-kranke Schlampe“, wird da schon mal gebrüllt, und dann gehen zwei der Mädchen auch noch aufeinander los. Für Anne und ihre Kolleginnen ist das nichts Neues. Als Mitarbeiterinnen der Hamburger Fraueneinrichtung ragazza erleben sie „eben mal bessere und mal schlechtere Tage“ ihrer Besucherinnen, die Drogensüchtige und Prostituierte vom Steindamm sind.

Über zwei Jahre lang haben Christine Burkart und Ulrike Schaz den Alltag im ragazza und der Drogenszene um St. Georg beobachtet und Gespräche mit den Frauen geführt. So entstand der Dokumentarfilm Wo anders sein. Darin wird auf belehrende Kommentare oder die Suche nach einem Schuldigen angenehmerweise verzichtet. Stattdessen geben die Befragten Einblicke in ihr Leben. Sensationelles oder Überraschendes kommt dabei nicht zum Vorschein, eher Geschichten, die gängige Klischees bedienen.

Da ist zum Beispiel Monika, die von ihrem Mann misshandelt wurde und durch ihn in Drogenkreise geriet. Ganz unten angekommen war sie, als sie dachte, sie hätte sich mit HIV infiziert. Doch der Test fiel negativ aus, was ihr neue Hoffnung gab. Sie träumt von einer Wohnung und einem „normalen“ Job. Ob sie das schafft ist fraglich, „aber ich drücke mir die Daumen“. Sie kommt regelmäßig ins ragazza und will clean werden, auch wenn das keine Voraussetzung ist, um aufgenommen zu werden. „Wir sind eine akzeptierende Einrichtung“, erklärt eine Mitarbeiterin. Es gibt je nach Bedarf Fixerräume, saubere Spritzen, Kondome oder einfach nur Trost. Wichtig ist auch das „freie Buch“. Hier schreiben Prostituierte ihre Erfahrungen mit Freiern rein, und warnen andere Frauen vor Vergewaltigern und Schlägertypen.

So unterschiedlich sie alle sind, und so stark sie auf den ersten Blick wirken – die Sehnsucht der präsentierten Frauen nach einem anderen Leben ist groß. Wer zu ragazza findet, möchte raus aus der Szene. Eine neue Erkenntnis ist dies nicht. In Zeiten aber, in denen Hamburger Drogenhilfeeinreichtungen grundsätzlich gefährdet sind und wenig Planungssicherheit haben, sind solche Dokumentationen politisch notwendig.

Maren Albertsen

„Wo anders sein“, Do, 16.9., 20 Uhr Uhr, Lichtmeß