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DokuAusgebeute Wirklichkeit

Cristina Nord
Kommentar von Cristina Nord

Der globalisierungskritische Dokumentarfilm boomt: Florian Opitz ist in "Der große Ausverkauf" der Privatisierung auf der Spur. Und verläuft sich.

Rosa DeTurpo: eine Ikone im Krieg um Wasser Bild: Majestic

D er globalisierungskritische Dokumentarfilm ist fast so etwas wie ein eigenes Genre geworden. Gerade österreichische Regisseure - Erwin Wagenhofer, Hubert Sauper oder Michael Glawogger - reisen gerne um die Welt, um an unterschiedlichen Orten die Auswirkungen des Neoliberalismus zu beobachten. Wagenhofers "We Feed the World" (2005) und Saupers "Darwins Nightmare" (2004) etwa befassen sich mit der Produktion von Nahrungsmitteln im Zeichen der Globalisierung; Glawogger beobachtet in "Workingmans Death" (2005) und "Megacities" (1998), wie Menschen in Mexiko-Stadt, in Mumbai oder Port Harcourt unter prekären Bedingungen arbeiten und überleben. Mit Florian Opitz hat sich ihnen nun ein deutscher Regisseur zur Seite gesellt. Für seine Dokumentation "Der große Ausverkauf" hat er vier Kontinente bereist und beobachtet, wie in der bolivianischen Stadt Cochabamba die Wasserwerke, in Großbritannien die Bahn, auf den Philippinen das Gesundheitssystem und in der südafrikanischen Township Soweto die Elektrizität privatisiert wurden.

Das Ergebnis von Opitz Recherchen lässt keinen Zweifel daran, dass Privatisierung schadet. Sie schadet Individuen, sie schadet Infrastrukturen, sie schadet Volkswirtschaften. Wo die Grundversorgung an private Unternehmen übergeben wird, wachsen Ausgrenzung und Verelendung. Ob sich Entwicklungsländer, die im Rahmen von Strukturanpassungsprogramme Staatsbetriebe veräußern, um für die Weltbank kreditwürdig zu bleiben, tatsächlich von diesen Härten erholen, harrt noch einer Antwort. Hinzu kommt, dass eherne Regeln wie der Hippokratische Eid der Ärzte keine Rolle mehr spielen, sobald lebensnotwendige medizinische Eingriffe davon abhängig gemacht werden, ob der Patient dafür zahlt oder nicht. Und wie man ein funktionierendes Bahnsystem zu Unfällen und Unpünktlichkeit treibt, das haben die Firmen, die British Rail unter sich aufteilten, hinreichend vorgeführt.

Um all dies in Erfahrung zu bringen, hätte es freilich keines Dokumentarfilmes gebraucht. Denn was "Der große Ausverkauf" an Information und Analyse ausbreitet, ist geläufig, wenn nicht überholt. In Cochabamba, das zeigt der Film, haben die heftigen Proteste dazu geführt, dass die Privatisierung der Wasserwerke rückgängig gemacht wurde. Was Opitz nicht erwähnt, ist, dass Bolivien mit Evo Morales seit Januar 2006 einen Präsidenten hat, der nach dem Vorbild Hugo Chávez hartnäckig wider Privatisierungen vorgeht. Wäre diese neue Entwicklung nicht ein viel interessanterer Untersuchungsgegenstand als ein Jahre zurückliegender, gewonnener Kampf? Zumal die Auslassung auf ein größeres Problem verweist. Opitz Film weiß zu früh, was er in Erfahrung bringen, was er berichten will, er lässt keinen Raum für eine ergebnisoffene Recherche und für Gespräche, die wirklich von Neugier angetrieben wären. Zu oft entsteht der Eindruck, der Filmemacher warte nur auf den Augenblick, in dem sein Interviewpartner eine bestimmte Stellungnahme von sich gibt. Besonders augenfällig wird dies, wenn das Gegenüber schon so viele Interviews gegeben hat, dass aus seinem Mund nur mehr Gemeinplätze kommen - wie im Falle eines Aktivisten in Cochabamba.

Traurig daran ist, dass alle Tugenden des Dokumentarfilms zugunsten der klaren Botschaft in den Hintergrund treten. Kein offener Blick fällt hier auf eine unbekannte, möglicherweise verwirrende Wirklichkeit, und in keinem Augenblick stehen die Bilder für sich. Stattdessen erfüllen Opitz Bilder eine Funktion, indem sie eine zuvor schon existierende These untermauern. Wenn man so will, ist auch dies eine Form von Ausbeutung - die Ausbeutung der Wirklichkeit. CRISTINA NORD

"Der große Ausverkauf", Regie: Florian Opitz. Dokumentarfilm, Deutschland 2006, 94 Min.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin

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