Spieltriebe (5) : Dinge, die sich nicht an Zahlen halten
Das Theater Osnabrück zeigt zum Spielzeitauftakt auf dem Festival „Spieltriebe“ vom 16. bis 18. September insgesamt zwölf Ur- und Erstaufführungen. Die taz nord stellt einige der jungen DramatikerInnen und ihre Stücke in einer Serie vor. Heute: Andreas Sauter „Die Sekunde dazwischen“
„Die Augen hin und her, das Schnappen des Auslösers und in derselben Sekunde ‚Wasch‘ die Augen ganz starr.“ Das ist die Sekunde dazwischen. Wenn der Nachbar abdrückt und seinem Kaninchen den kleinen gerippten Zylinder aus der Pistole ins Genick jagt. Die Sekunde zwischen Leben und Tod. Nach ihr ist das neue Stück von Andreas Sauter benannt. Der Monolog „Die Sekunde dazwischen“ wird in Osnabrück uraufgeführt.
Der Protagonist erzählt von einer weiteren Begegnung mit der Sekunde dazwischen. Eine Fotoausstellung. Ein Mann auf einem Foto, er „flieht mit erhobenen Armen auf uns zu, direkt in den Schuss hinein“. An seinen Augen kann man sehen: Es ist die Sekunde zwischen Leben und Tod, die das Foto festhält. Golfkrieg im Fernsehen, tausendfach wird gestorben. Wir sind dabei, „während wir bei uns zu Hause auf dem Sofa sitzen und Nüsse knabbern“, sagt der Erzähler. Und: „Wir haben nicht begriffen, was das heißt.“
Andreas Sauter hilft beim Verstehen nach. Er wurde 1974 in Zürich geboren. Nach einer Ausbildung zum Grundschullehrer schloss er im Jahre 2002 den Studiengang „Szenisches Schreiben“ in Berlin ab. Als freier Autor und Regisseur lebt er in Berlin. Eine ganze Reihe von Preisen gewann er.
„Gespräche sind mir beim Schreiben ganz wichtig“, sagt Sauter. Was ihm die Leute erzählen, wird in den Stücken verarbeitet. Die Sekunde dazwischen, das sei eine Zeitspanne, die lasse sich scheinbar messen. Aber das, wovon der Erzähler berichten möchte, gehört zu den „Dingen, die sich nicht an Zahlen halten“. Als die eigene Großmutter stirbt, wird ihm klar: Diese Sekunde lässt sich nicht messen. In Gesprächen mit Ärzten hat sich Sauter schildern lassen, wie es abläuft, wenn ein Mensch stirbt. In anderen, wie es sich für die Zurückgebliebenen anfühlt. „Wenn man jemanden liebt, gibt es die nicht, diese eine Sekunde. Die dauert ewig. Weil der Tote die Zeit mitnimmt“, sagt Sauter. „Jeder Moment dauert irgendwie ewig, wenn er wirklich gelebt wurde, vergeht er nicht.“ So einen Moment nennt er eine Begegnung. Theater zeigt Begegnungen zwischen Menschen.
Wie ausgerechnet ein Monolog zur Begegnung wird, so Sauter, das sei eine der Fragen an den Text gewesen. In der Gegenüberstellung von alltäglichen Situationen werde der Leser mit auf eine Entdeckungsreise genommen. Der Unterschied zwischen wirklichen Begegnungen und falschen soll klar werden. „Die alltäglichen Momente berühren dann hoffentlich danach anders.“ D. Bühler