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Dies war kein Jahr für große Lacher

■ „Heimatabend“ auf Kampnagel: Comedy, Musik und Kabarett für SPD-Wähler

„1994 war blöd!“ Auf diese prägnante Formel verdichtet Matthias Beltz das vergangene Jahr. Natürlich hat er recht: fünf Jahre Wiedervereinigung, eine Flut von Wahlwerbespots und Kohl bleibt Kanzler. Angesichts dieser tränentreibenden Ereignisse verwundert es, daß der als radikal angekündigte Jahresrückblick des Kabarettisten eher zahnlos ausfällt. Umständlich verklausuliert Beltz Banalitäten, wenn er in Kohlscher Phrasierung das „Buch der Geschichte“ aufschlägt und den Beweis erbringt, daß Politik und Moral nicht zusammenzuzwängen sind.

Also warten wir gespannt auf die „Schamlosen“. Die debilen Hamburger Vorzeige-Prolls Hugo (Ulrich Wildgruber) und seine Frau Edith (Brigitte Janner) hocken mit ihrem Sohn Klaus (Kai Maertens) und dessen Ossi-Freundin Jutta (Martina Gedeck) unterm Tannenbaum und schaufeln Christstollen und Heringssalat in sich hinein. Von Geldsorgen gestreßt, sehen sich die cowboygestiefelten Eltern schon als Rekruten der Hinz & Kunzt-Kolonne. Von Trantüte Klaus, der sein Unternehmen zur Entsorgung lästiger Senioren wenig dynamisch führt, ist nichts zu holen. Eher von Jutta, der frischgebackenen Lotto-Gewinnerin. Aber die hat nicht vergessen, wie sehr sie von der ignoranten Sippe gebeutelt wurde und sinnt auf Rache...

Bereits zum fünften Mal beschließt der vom NDR präsentierte Heimatabend auf Kampnagel ein Jahr der wiedervereinigten Republik. Fazit des „emotionalen Kassensturzes“ von Regisseur Ulrich Waller und Produzent Horst Königstein: 1994 war das Jahr des Geldes, der schwindelerregenden Jackpots, aber auch der grassierenden Armut. Bei der recht lieblosen Zusammenstellung des Programms haben die Verantwortlichen wohl auf die schwer nachvollziehbaren Auswahlkriterien vieler Fernseh-Shows vertraut.

Sollte die junge Leipziger Hip-Hop-Band B-Side the Norm, die sich in biederen Reimen den Frust über die Planwirtschaft von der Seele rappte, als Paradebeispiel für künstlerische Freiheit nach der Wende dienen? Und durfte der ansonsten geschätzte Hamburger Liedermacher Bernd Begemann etwas verloren schrammeln, weil er seine Platte Rezession, Baby betitelte?

Mit den zotigen Faxen der „Schamlosen“ konnten die Veranstalter jedenfalls nicht viel falsch machen. Wenn Klischees von den einfachen Leuten bemüht werden, schmunzelt das bessergekleidete Publikum schon allein aus einem Gefühl der Überlegenheit. Matthias Beltz und seine Kollegen Achim Konejung und Horst Schroth hingegen boten nur hölzernes Kabarett für SPD-Stammwähler. 1994 war eben wirklich ein blödes Jahr.

Björn Ahrens

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