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■ Die wirtschaftliche Stimmungslage spricht für KohlWahltaktische Schönfärberei

Die Regierung kann jubeln: Die Rezession scheint überwunden, die positiven Konjunkturmeldungen häufen sich. Um 2,1 Prozent hat das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal zugelegt – der erste Anstieg seit gut zwei Jahren. Selbst die Arbeitslosenzahlen sind leicht gefallen. Hemut Kohl, ohnehin notorisch optimistisch, darf sich im Siegerlicht sonnen. Für ihn läuft alles nach Plan: zuerst den Bundespräsidenten aus den eigenen Reihen klar durchgeboxt, dann in der Wählergunst aufgeholt und dazu noch die wirtschaftliche Erholung. Schon heute glaubt knapp die Hälfte der Bundesbürger, der Kanzler habe das bessere Konzept gegen Stagnation und drohenden Wohlstandsverlust. Fehlt nur noch der treffende CDU-Slogan zur Oktoberwahl: Jetzt den Aufschwung wählen!

Doch bei aller wahltaktischen Schönfärberei, der konjunkturelle Schwung ist nur geliehen: Das Wirtschaftswachstum, das auf saisonbereinigten Werten basiert, wäre ohne den milden Winter deutlich niedriger ausgefallen. Von einem selbsttragenden, lang anhaltenden Aufschwung kann noch lange nicht die Rede sein: Dazu genügt es nicht, daß nur der Export die Wirtschaft aus der Talsohle zieht; es muß im Inland erst einmal kräftig investiert werden, und das nicht nur in der Bauindustrie. Die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit täuscht auch über die schwache Inlandsnachfrage hinweg, wo Verbraucher wie Bund, Länder und Gemeinden die Sparappelle inzwischen ernst genommen haben. Und an den Arbeitslosen läuft der Aufschwung allemal vorbei; die erhoffte Belebung auf dem Arbeitsmarkt fällt mehr als dürftig aus. Selbst Wachstumsraten jenseits der Zweiprozentmarke versprechen keinen nennenswerten Stellenzuwachs, so müssen sich die Hoffungen zwangsläufig auf andere beschäftigungspolitische Maßnahmen und auf 1995 und die Zeit danach richten.

Dem Kanzler selbst könnte der Konjunkturfrühling freilich reichen, um im Herbst wiedergewählt zu werden. Die Handlungslücke in Bonn aber bleibt. Um so mehr ist jetzt Herausforderer Rudolf Scharping gefordert, dessen bisherige Niedrigstprofil-Strategie weder ein zukunftsträchtiges Reformkonzept erkennen läßt noch die Gewähr dafür bietet, der Union und der FDP Wähler abzujagen. Dabei hätte er gar keine schlechten Karten, wenn er sich nur von der wirtschaftspolitischen Nulldiät und traditionellen Rezepten lösen würde. Denn ein Aufschwung löst die Probleme noch lange nicht – angesichts zerrütteter Staatsfinanzen und horrender Abgabensätze wird ohne gesellschaftsreformerische Phantasie und Mut zu Umverteilungen von „sozial“ und „ökologisch“ bald nicht mehr die Rede sein. Erwin Single

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