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Archiv-Artikel

Die törichtste Anpassung aller Zeiten

betr.: „Weder Mafia noch Metternich“ (Deutsche Dichter, Politiker und Juristen fühlen sich bedroht – von einer Rechtschreibkommission) von Rudolf Walther, taz vom 19. 2. 04

In schöner Regelmäßigkeit lösen die Gedenktage der Rechtschreibreform ein Rauschen im Blätterwald aus, das diesmal – aus Anlaß des Vierten Kommissionsberichts – freilich einen neuen Zug hat: Kaum eine journalistische Hand rührt sich zur Verteidigung der Neuregelung. Der Versuch der Überführung der Zwischensprachlichen Kommission in eine Art Sprachenamt mit hoheitlichen Funktionen und der erste wirkliche Eingriff in das Regelwerk gingen offenbar auch den sonst eher zur Duldung Entschlossenen zu weit. Mit Ihrem Beitrag in der heutigen taz heben Sie sich nur scheinbar von Ihren Berufskollegen ab: Für die neueste Entwicklung finden Sie ebenfalls kein Wort der Zustimmung: Und wenn sich die Kommission mit einer Neuerung ins Abseits manövriert, geht die Welt nicht unter. Die öffentliche Kritik und die Sprachpraxis entscheiden darüber, ob eine Empfehlung akzeptiert wird oder nicht.

Dem kann ich ohne Bedenken zustimmen, muß freilich daran erinnern, daß dieses für jede Sprache gültige Verfahren bei uns zur Zeit nicht funktioniert, wenigstens nicht in der Öffentlichkeit. Seit 1998 bzw. 1999 hat es weder in der Schul- noch in der Presseorthographie Korrekturen gegeben. Wie heute in den deutschsprachigen Ländern privat geschrieben wird, ist dagegen so gut wie unbekannt. Dazu gehört übrigens auch das öffentliche Schreiben, das nur nach der obligaten Computerkonversion zugänglich ist.

Ich halte Ihre Kritik an einigen Auswüchsen der gegenwärtigen Polemik für berechtigt, nicht jedoch Ihr Urteil über Literaten und Rechtswissenschaftler. Kein französischer Journalist würde so etwas schreiben, und die beiden dort maßgeblichen Nachschlagewerke – Larousse und Robert, stützen sich in der Dokumentation des Sprachgebrauchs auf die gehobene Praxis der zeitgenössischen Prosa. Das Akademiewörterbuch besitzt niemand privat, und sein Einfluß auf die französische Sprachentwicklung ist heutzutage gleich Null. […]

HELMUT JOCHEMS, Kreuztal

Ich verstehe immer noch nicht solche Begriffe wie „gequälte Kinder“ im Zusammenhang mit ß/ss-Regelen o.ä. Vielleicht liegt es daran, daß ich mir nie gequält vorkam, daß ich all sowas nicht mühselig erlernen mußte. […] Diese Rechtschreibreform läuft in vielen Dingen dem, was ich gelernt hatte ohne es mitzubekommen, zuwider. Und bevor ich „falsch“ nach meinem Empfinden schreibe, indem ich die neuen Regeln anwende, muß mir bei jedem einzelnen „Fehler“ (nach der Rechtschreibreform) bitteschön jemand zunächst die Quellen seiner semantischen Argumentation darlegen. Kann er dies, gebe ich vielleicht nach. Mal ehrlich, wer kann noch einen echten Genitiv anwenden? Wenn ich im Englischen die Steigerungsformen lehre, kommen Schüler häufig zum ersten Mal mit der deutschen (nach alter Rechtschreibung) „korrekten“ Form in Berührung: bigger than=größer als – und nicht größer wie! Ach, es ist vergebens. Die neue Rechtschreibreform sagt für mich nur folgendes aus: Jeder kann schreiben wie er will. Egal wie falsch! PILLE BOHNE, Hamburg

solange von den ‚neuerern‘ solch schwachsinn gefordert wird, wie „aufwendig“ als „aufwändig“ schreiben zu sollen, stehe ich entschlossen auf der seite des wesentlich klareren, in dem taz-artikel blöde diskriminierten ickler, das kann ich dir nicht nur sagen und schreiben, sondern dir auch einmal einen blick in dessen wörterbuch und vor allem das dortige vorwort empfehlen – nieder mit der kultusministerkonferenz (denn die wissen offenbar nicht, was sie tun). peter hauf, ingolstadt

Gerade heute habe ich folgendes auf einem Kalenderblatt gelesen (sinngemäss wiedergegeben): „Die Frage nach den (Rechtschreib-) Regeln halte ich mir so weit es geht vom Hals. Ich mache sicher genügend Schnitzer. Was das Komma angeht, halte ich es mit Wieland: Religion und Interpunktion sind Privatsache.“ Laut Kalenderblatt stammt dieser Spruch von Johann W. von Goethe, der somit auch zur Rechtschreibreform herhalten muss. ROBERT RISACK, Erlangen

Mit „vorsintflutlich“ meint man, daß etwas vollkommen veraltet ist. Das trifft zu auf die künstlich wiederbelebte Großschreibung von „im Allgemeinen“, „des Öfteren“ und nun auch noch „bei Weitem“ usw. Will Herr Walther das etwa bestreiten? Und was soll an der Neuregelung der ss-Schreibung (übrigens im Sinne der Heyseschen Regel aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts!) leichter sein als an der „Kinder quälenden“ bisherigen? Was soll an meiner Reformkritik „theologisch“ sein? THEODOR ICKLER, Spardorf

Die taz, die zu lesen mir immer wieder Spaß macht, weil sie in vieler Hinsicht rebellisch ist, zeigt sich in einer Hinsicht bemerkenswert obrigkeitshörig: in Sachen Rechtschreibreform. Deshalb fällt Rudolf Walther in seinem Beitrag vom 19.2. (Weder Mafia noch Metternich) auch nichts anderes ein, als die Kritiker der sog. Rechtschreibreform wortreich zu beschimpfen ( „die armen Dichter“, „Absturz ins Irrationale?, „ein querulantischer Lehrer“ – womit er wohl mich treffen möchte – etc.) und unsere Kritik ins Maßlose zu übertreiben: Wer bitte hat je behauptet, es gehe um „Sein oder Nichtsein des Deutschen“? Auf unsere Argumente – die Rechtschreibreform ist überflüssig, teuer, inhaltlich mißlungen, zerstört die Einheitlichkeit der Schreibung etc. – braucht er dann natürlich nicht einzugehen. Die Kultusminister und ihre fabelhafte Kommission können sich bei der taz für so viel Staatstreue bedanken. FRIEDRICH DENK, Weilheim i. OB

Was haben wir, wenn Basisdemokraten Volksentscheide ignorieren, wenn Ökofreaks Genfraß-Buchstabensuppen löffeln, wenn Antifaschisten orthographische ss-Aufmärsche bejubeln, wenn gemäßigte Kleinschreiber unmäßig groß schreiben, wenn Gottlose geil auf Zwangsmissionierungen sind, wenn Fortschrittsfans „behänden“ Fußes rückwärts gehen, wenn Toll-Collect-Kritiker im Tollpatsch-System schreiben, wenn späte Hosenlatzmaler anstelle von Michelangelos Fresken alte Eßzet übermalen, Satzglieder verstümmeln und Klassiker zu Kleinduzern machen, damit Kinderaugen nicht sehen, was einmal natürlich war – was haben wir dann? Die Törichtste Anpassung aller Zeiten – taz. SIGMAR SALZBURG, Dänischenhagen

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