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Archiv-Artikel

Unter großzügiger Auslegung ihrer Bandgeschichte gastieren „The Beach Boys“ auf ihrer Jubiläumstournee im Stadtpark Die surfende Sirupwerdung

„Zu 99 Prozent“, so gab Sänger Mike Love dieser Tage in einem Interview an, besuchten die Menschen aus einem Grund ein Konzert seiner Band: um eine gute Zeit zu haben. Und für solch gut gelauntes Publikum mache es „wahnsinnig viel Spaß, diese Songs zu singen“. Um ein nahe liegendes Klischee zu bedienen: Derzeit sieht es danach aus, als spiele sogar das berüchtigte Hamburger Wetter mit, wenn Love mit seiner Band, den Beach Boys (Foto), in dieser Woche im Stadtpark gastiert – um „diese Songs zu singen“.

Mike Love ist letztes verbliebenes Gründungsmitglied der Beach Boys und bestätigt mit solchen Worten eine populäre Wahrnehmung der bandinternen Arbeitsteilung: Derzufolge nämlich war Love schon immer Teil der eher dem Sonnenschein zugewandten Fraktion und wollte als Co-Songwriter an der eingefahrenen Rezeptur der frühen Beach-Boys-Hits festhalten. Als sein Cousin und Konterpart Brian Wilson Mitte der 60er Jahre begann, von der immergleichen darin verhandelten Strandromantik abzurücken, mehr allerdings noch von der musikalischen Vordergründigkeit von Good-time-Krachern wie „Surfin‘ USA“, „California Girls“ oder „Fun, Fun, Fun“.

Mit solchen Hymnen auf das vermeintlich leichtere Westküstenleben, auf Sonne und Wellen, braun gebrannte Körper und den nicht endenden Sommer, hatte die bemerkenswerte Karriere der Band ihren Ausgang genommen. Anfangs reagierten die drei Wilson-Brüder Brian, Dennis und Carl, ihr Cousin Mike Love und der Football-Kollege Al Jardine eher findig auf sie umgebende Trends wie die Vertonung von Wellenreiten und Hot Rod-Rennen, als dass sie sie losgetreten hätten.

Nicht zuletzt auf Betreiben des als Songwriter eher erfolglos gebliebenen Wilson-Vaters Murry, der die 1961 zunächst als The Pendletones gegründete Band im Handstreich zu den vermeintlich verkaufsträchtigeren Beach Boys machte. Diese waren also schon durch den programmatischen Namen auf ein überschaubares thematisches Spektrum abonniert. Murry Wilsons Instinkt täuschte ihn vorerst nicht: Die unter seinen regelmäßig gewalttätigen Händen geformten Beach Boys kamen beim Majorlabel Capitol unter, veröffentlichten innerhalb von zwei Jahren drei Alben und landeten ebenso viele Top-Ten-Hits.

Als „Psychoschrott“ und Ärgeres sollen Brian Wilsons Mitmusiker folgerichtig seine Gehversuche in aufwändig orchestrierten, später auch durchaus psychedelischen Gefilden genannt haben, die 1966 in das erst nachträglich, dafür umso unumstößlicher kanonisierte Album Pet Sounds mündeten. Bereits vor dem Beginn dieser Arbeiten hatte sich der zunehmend publikumsscheue Brian von der Bühne verabschiedet – zunächst in Richtung Studio, später folgten das heimische Bett oder eigens eingerichtete Sandkisten. Bei Konzerten ersetzte ihn seitdem Bruce Johnston, der auch im aktuellen Line-Up dabei ist.

Nach etlichen Prozessen unter anderem mit Al Jardine, der einige Jahre mit der Beach Boys Family and Friends durch die Lande tourte, ist die Besetzung mit Love und Johnston die einzige, die sich heute noch Beach Boys nennen darf. Während der zwischenzeitlich arg von Drogen, Psyche und falschen Beratern gebeutelte Brian Wilson seit drei Jahren wieder auftritt – im vergangenen Jahr erstmals auch in Hamburg – geben Love und Johnston mit wechselnden Musikern seit Jahren regelmäßig Konzerte, Love zufolge um die 150 im Jahr.

Böse Zungen behaupten, dabei, und also auch jetzt im Stadtpark, stehen übermäßig virtuose Bearbeitungen der klassischen Stücke zu erwarten, getragen von einem Handwerkerstolz, wie ihn die Beach Boys früher entweder nicht entwickelt hatten – oder schlicht nicht die ausreichend guten Musiker waren. Solche vermeintlich von vornherein missgünstigen Kritiker übrigens stellen, so Love im eingangs erwähnten Interview, regelmäßig das verbleibende Prozent seines Publikums.

ALEXANDER DIEHL

mit Venice: Donnerstag, 19.30 Uhr, Stadtpark