: Die programmierte Katastrophe der Reichsbahn
Der Intercity in der DDR: Durchschnittsgeschwindigkeit 70 Stundenkilometer / Chaos in der DDR-Verkehrsplanung - erst vorrangig die Schiene, dann wieder auf die Straße und in den 80er Jahren wieder die Schiene / Bundesbahn drehte der Reichsbahn alte Wagons an ■ Von Stefan Niemeyer
Die erwartete Propaganda-Show hat stattgefunden: Am Wochenende wurde die Eröffnung der Bummelbahn zwischen Leipzig und Frankfurt inszeniert. Die neue Verbindung schimpft sich „IC“, dessen Eigenschaft es normalerweise ist, im Stundentakt zu fahren. Dieser fährt jedoch nur einmal täglich und braucht für die 379 Kilometer fünfeinhalb Stunden, was eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gerade 70 Kilometern pro Stunde ergibt.
Es geht also recht langsam voran, und dieses Tempo ist vorerst auch bezeichnend für die künftige Entwicklung im Schienenverkehr. Wie aber sah die Verkehrspolitik in der Vergangenheit in der DDR aus? Es herrschte der konzentrierte ökonomische Schwachverstand und Einheitswahn (nein, nein, nicht Deutschlands Einheit, sondern die der „Leitung und Durchführung“). Alle Fragen des Verkehrs sollten laut Verordnung „einheitlich und komplex“ geregelt werden. Das sture Durchhalten dieses Gesetzes führt dazu, daß ein am speziellen Bedarf (zum Beispiel erschütterungsfreier Transport) orientiertes, flexibles Angebot verhindert wurde. Ergebnis ist: 20 Prozent Bruch beim Transport von Glas. Die Personenbeförderungsordnung (PBVO) fordert „Realisierung hoher Qualität mit minimalem Aufwand“ und im nächsten Paragraphen gleich eine „Senkung des Aufwands“. Folge ist, daß die Nachfrage nach Transportleistungen um 30 Milliarden Kilometer gesenkt werden soll.
Die Verkehrsordnungen wurden häufig geändert, je nach aktueller Lage. So lag das Primat in den 60er und 70er Jahren bei der Förderung devisenträchtiger Verkehrsträger (Lkws), als der Anteil der Eisenbahn an der Leistung von 82 Prozent 1960 auf 66 Prozent 1979 zurückging. In dieser Zeit hat sich die Nachfrage nach Transportleistungen insgesamt vergrößert und ist vor allem mit dem Kraftverkehr befriedigt worden. Außenwirtschaftliche Faktoren zwangen die DDR Anfang der 80er Jahre zu einem Umschwenken in der Verkehrspolitik. Ausgangspunkt waren reduzierte Öllieferungen aus der Sowjetunion und weltweite Verteuerung der Energiepreise. Kraftstoffeinsparung um jeden Preis, Verlagerung von der Straße auf die Schiene bei weitestmöglicher Umstellung von Diesel- auf Elektrobetrieb.
Die zunehmende Verfeuerung der Kohle bewirkte eine Steigerung der Transportmenge der Kohle selber und ihrer Verbrennungsrückstände. Die völlig veralteten Schienenwege galt es nun zu modernisieren. Dabei wurde ein weiterer folgenschwerer Fehler begangen: Die neuen Alkali-Beton -Schwellen wurden bei falscher Temperatur gebrannt, so daß sie sich bei ungünstiger Witterung selbst auflösen. Bis Mitte der neunziger Jahre soll es noch dauern, bis die acht Millionen Schwellen wieder ersetzt werden.
Die programmierte Katastrophe setzt sich im Fahrzeugpark der Reichsbahn fort. Die Wagen sind veraltet, ihre Umlaufzeiten zu lang, die Beschädigungsquoten zu hoch, die Loks sind sehr störanfällig, was zu enormen Unterhaltskosten führt. Die Bundesbahn verkaufte damals ihre ausgemusterten Wagons der Reichsbahn, die somit für kräftige Beschäftigung in den mit Ersatzteilen unterversorgten „Reichsbahnausbesserungswerken“ sorgte.
Dortige Mängel sollten noch im letzten November mit Hilfe einer FDJ-Initiative behoben werden. Der Vorschlag stammte übrigens vom damaligen stellvertretenden Verkehrsminister und heutigen Generaldirektor der DR, Herbert Keddi. Sein Stellvertreter-Kollege Obst ist heute Berater des neuen Verkehrsministers der CDU, Gibtner.
In einem weiteren Artikel wird die taz einen Ausblick auf die künftige Entwicklung der Reichsbahn wagen.
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