■ Die ostdeutschen Metaller wollen ab Montag streiken: Der Rechtsbruch hat sich schon gelohnt
Wenige Tage vor dem voraussichtlichen Streikbeginn haben beide Seiten noch einmal ihre Positionen abgesteckt. Nichts spricht dafür, daß die kurze verbleibende Frist zur Kompromißsuche genutzt wird. Das angekündigte Treffen von Arbeitgebern und IG Metall im Tarifbezirk Thüringen widerspricht dem nicht. Zur Dramaturgie der Auseinandersetzung gehört auch die Wahl des Schauplatzes. Das war in den letzten Wochen Sachsen, allenfalls noch Mecklenburg-Vorpommern. Dort oder in der Stahlindustrie wird die Lösung gefunden werden müssen.
Aber neben all den Vorbereitungen auf die Entscheidungsschlacht gibt es auch diffuse Anzeichen des Bemühens um Deeskalation. Hier bewegen sich die Akteure weniger in den vorgegebenen Bahnen ihrer offiziellen Beschlußlagen, sondern im Schattenreich feinsinniger Unterscheidungen – zum Beispiel der zwischen „Verhandlung“ und „Gespräch“. So hat der sächsische IG-Metall-Bezirksleiter Düwel die offizielle Forderung seiner Gewerkschaft nach vorheriger Rücknahme der vertragswidrigen Tarifkündigung relativiert: Das gelte für offizielle Verhandlungen, nicht aber für informelle Gespräche. Gleichzeitig hat der Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Sachsen, Münter, das Neun-Prozent-Dumping-Angebot der Arbeitgeber zur Disposition gestellt.
Verhandlungen werden also stattfinden, ob mit oder ohne Streik. Die Knackpunkte dabei sind schwierig genug: Die IG Metall kann ihren Standpunkt nicht zur Disposition stellen, wonach die Vertragskündigung durch die Arbeitgeber rechtswidrig ist; sie ist bei ihren Mitgliedern im Wort, die im Vertrag für 1993 vorgesehene Angleichung der Löhne und Gehälter auf 82 Prozent des Westniveaus statistisch, aber nicht unbedingt real durchzusetzen; sie muß auf der vertraglich fixierten Perspektive einer – wenn auch gestreckten – Angleichung der Tarife auf 100 Prozent bestehen. Die Arbeitgeber dagegen werden sich für das Prinzip betrieblicher Öffnungsklauseln stark machen und sie werden sich gegen einen zwingenden Stufenplan sträuben, an dessen Ende die 100 Prozent stehen; sie werden ihre „außerordentliche“ Aufkündigung nur zurücknehmen, wenn sie vorher verbindliche Zusicherungen über den materiellen Inhalt eines neuen Vertrages haben.
Am Ende wird es einen Kompromiß in relativer Nähe zum gescheiterten Biedenkopf-Vorschlag geben. Der zeitweilig von den Arbeitgebern anvisierte völlige Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag dürfte für dieses eine Mal vom Tisch sein. Doch ist jetzt schon klar, daß die IG Metall den ursprünglichen Tarifvertrag nicht wird halten können, daß sie bei der Lohnangleichung ihrer ostdeutschen Mitglieder wird Federn lassen müssen. Insofern hat sich das rechtswidrige Vorgehen der Arbeitgeberverbände bereits ausgezahlt. Martin Kempe
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