■ Die neuen Geldscheine der Schweizerischen Nationalbank: Kein Copyright für Le Corbusier
Richtig fesch sehen sie aus, die neuen Banknoten aus der Schweiz. Bunt, mit Fotos und metallisch glitzernden Dreiecken in der Mitte. Gleich mehrfach prangt die Zahl „10“ auf der eigelben Vorderseite des Scheins, der jüngst in Umlauf gebracht wurde. Das dient der Sicherheit. Denn, so die Schweizerische Nationalbank, „seit Geld existiert, gibt es Fälscher“.
Und darum findet sich ganz oben auf dem neuen Alpen-Zehner jetzt die „Zauberzahl“. Sie verschwindet, wenn die Note sachte geneigt wird. Darunter dann die „Farbzahl“, die, wie der Name sagt, orange färbt, wenn sie auf hellem Papier gerieben wird. Die „Tanzzahl“ mäandert sogar auf einer Spezialfolie kinematographisch animiert durchs Bild.
In Deutschland blicken graumäusige Heroen des alteuropäischen Bildungsbürgertums gleichsam eichenlaubbekränzt vom Währungspapier. Große Teile der Scheine sind in nüchternem Weiß gehalten. Nicht so in der Schweiz: Dort wuchern Farben, Zahlen und Motive alles zu, und die dargestellten Persönlichkeiten lebten in unserem, dem 20. Jahrhundert.
Nach der 50-Franken-Note mit der Künstlerin Sophie Täuber-Arp und dem Zwanziger mit dem Komponisten Arthur Honegger lagert jetzt millionenfach das Porträt des Architekten Charles Edouard Jeanneret, genannt Le Corbusier (1887–1965), auf den Nummernkonten. „Prägen Sie sich das Bild dieses Mannes genau ein“, wirbt die Nationalbank.
Das Geldinstitut weiß, wovon es redet. Hat es doch selbst gerade ein Meisterstück der (unbewußten?) Verdrängung abgeliefert und den Fotografen jenes Corbusier-Motivs nicht vorher über die Bildauswahl informiert. André Villers heißt der Mann, lebt im südfranzösischen Vallauris und erfuhr neulich durch Zufall, daß sein Foto nun in jedem eidgenössischen Portemonnaie gebunkert wird. Jetzt will Villers ein Honorar sehen. Verständlich, könnte man meinen. Doch da kennt man die Schweizerische Nationalbank schlecht. Sie bot dem Fotografen erst einmal gar nichts. Und eher dürftige 10.000 Fränkli, als dieser auf seinen Forderungen beharrte. Zu wenig, fand Villers. Die Verhandlungen dauern an.
Villers hat mit einigen seiner Aufnahmen Kunstgeschichte geschrieben. Er knipste Pablo Picasso, als dieser 1956 für Clouzots Film „Le Mystère Picasso“ Glaswände bemalte. Ein berühmtes Foto-Interieur von Picassos Atelier in Vallauris stammt ebenfalls von Villers. Und Le Corbusier porträtierte er, kurz bevor dieser 1965 ins offene Meer hinausschwamm und nicht wieder auftauchte. Ganz untypisch ist dieses Foto. Der gestrenge Meister des rechten Winkels lupft die dicke Hornbrille und blickt auf einmal beinahe menschlich drein.
Auf der Rückseite des neuen Zehners haben die Schweizer ein Gesamtkunstwerk Le Corbusiers collagiert: Bilder des Regierungsviertels im indischen Chandigarh. Ein vorderasiatisches Motiv auf den Banknoten der Alpenrepublik? Ja, denn bei den abgebildeten Bauten handelt es sich um Verwaltungsgebäude, vor allem die Fassade des Regierungssekretariats. Da ziehen vor dem inneren Auge geradezu Armeen staubiger Aktenordner vorbei – eine schweizerische Selbstdarstellung par excellence.
Daß Le Corbusier den Menschen für das Maß aller Dinge hielt und als „Modulor“ zur Grundlage seiner Architektur machte, wird hier nebensächlich. Honi soit qui mal y pense, oder? Mag sein, daß die Kommissare der Nationalbank Villers in seinem entlegenen Domizil hoch über der Côte d'Azur, fernab der bergbewehrten Heimat, einfach nicht gefunden haben. Wahrscheinlich haben sie aber gar nicht gesucht. Holger Liebs
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