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Archiv-Artikel

Die neue Teilung Europas Rekorddefizit in Frankreichaus Paris DOROTHEA HAHN

Frankreich bricht alle EU-Rekorde: Erstens steht es mit seinem diesjährigen Haushaltsdefizit von 4 Prozent noch schlechter da als Deutschland. Und zweitens hat Premierminister Jean-Pierre Raffarin bereits trotzig angekündigt, dass er zumindest bis zum Jahr 2006 bei der mangelnden Haushaltsdisziplin bleiben wird. Ganz egal, was die EU sagt.

In einem Interview des Figaro betonte Raffarin zwar, er strebe „selbstverständlich“ die Reduzierung des Defizits an. Zugleich aber sagte er einschränkend: „Ich integriere die europäische Realität in die französischen Prioritäten.“ Ex-Innenminister Charles Pasqua stellte fest: „Frankreich beerdigt den Stabilitätspakt, ohne das offen zu sagen. Das nationale Interesse geht vor.“

Das Dilemma der rechten Regierung in Paris zeichnet sich bereits seit längerem ab. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Jacques Chirac Steuersenkungen von 30 Prozent versprochen. Dabei ging er von einem Wirtschaftswachstum von mehr als 2,5 Prozent aus. Das war schon im Frühjahr 2002 optimistisch. Angesichts des in diesem Jahr auf 0,5 Prozent gesunkenen Wachstums nimmt sich das Versprechen unmöglich aus. Inzwischen sind selbst viele Politiker aus dem Lager Chiracs dafür, die Steuersenkungen zu stoppen.

Doch Raffarin hält an der Wahlzusage fest. Nach einer Einkommensteuersenkung von 5 Prozent im Jahr 2002, nach einer weiteren von einem Prozent in diesem Jahr, will er sie im nächsten Jahr nochmals um 3 Prozent senken. Ähnlich optimistisch wie Chirac vor eineinhalb Jahren erwartet Raffarin 2004 ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent. Die Steuersenkungen sollen die Kaufkraft zusätzlich ankurbeln.

Sowohl die Wachstumsprognose als auch der Kaufkrafteffekt sind unter WirtschaftswissenschaftlerInnen umstritten. Denn Einkommensteuersenkungen kommen in Frankreich lediglich 50 Prozent der Beschäftigten zugute – jenen, die schon jetzt kaum Liquiditätsprobleme haben. Die anderen Beschäftigten verdienen zu wenig, um überhaupt mit Einkommensteuern belangt zu werden. Insgesamt werden durch die Steuersenkungen 2004 rund 1,8 Milliarden Euro zusätzlich in die Wirtschaft gepumpt. Dieser Zahl stehen Erhöhungen der Lokalsteuern, die alle Franzosen zahlen müssen, in Höhe von 1,4 Milliarden Euro gegenüber.

Im Lager der Opposition mobilisieren die Sozialisten für eine „Rehabilitierung der Steuern“. Damit wollen sie die öffentlichen Dienste stärken. Die großen Gewerkschaften fordern schon lange den Ausstieg aus dem Stabilitätspakt. Denn mit dem EU-Gebot der „Haushaltsdisziplin“ werden in Frankreich fast alle Mittelkürzungen begründet.

Die wichtigste Kritik an Raffarin kommt vom künftigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank. In einem Brief an die Europaabgeordneten erklärt Jean-Claude Trichet: „Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass es in einer schwierigen Periode zwangsläufig vorteilhaft wäre, das Haushaltsdefizit zu erhöhen.“