Die junge Autorengeneration präsentierte sich in diesem Frühjahr auf der Leipziger Messe lebensnah : Dichter dran
Zum Marlboro-Mann reicht es nicht ganz. Aber zweimal hingucken musste trotzdem, wer auf seinem Weg durch die Straßen von Leipzig die großformatigen Plakate sah, auf denen überlebensgroß Clemens Meyer neben seinem neuen Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ posiert. Eine eher ungewöhnliche Werbeaktion, die der Fischer Verlag seinem jungen Autor angedeihen ließ. Ob sie den letzten Ausschlag dafür gegeben hat, dass Meyer Konkurrenten wie Sherko Fatah oder Ulrich Peltzer im Rennen um den Preis der Leipziger Buchmesse abgehängt hat, darf man bezweifeln. Kaum fraglich indes, dass mit der Leipziger Plakataktion fortgesetzt wird, was Clemens Meyer in seinen Interviews nicht müde wird zu wiederholen: Er ist ganz nah dran an seiner Stadt und seinen Leuten. Man kann diese zelebrierte Underdog-Authentizität einigermaßen nervend finden. Man kann sie aber auch als den Versuch verstehen, das stereotype Vorurteil abzuschütteln, wonach Absolventen des Leipziger Literaturinstituts zwangsläufig nur keimfreie stilistische Fingerübungen produzieren.
Mit diesem Vorurteil muss sich auch Thomas Pletzinger herumschlagen. Sein Roman-Debüt „Bestattung eines Hundes“ wird zwar allerorten für seine erzählerische und inhaltliche Dichte hochgelobt. Selten allerdings ohne den Zusatz, dass der Grad der Wirklichkeitssättigung, mit der Pletzinger die biografische Krisenerfahrung eines Mittdreißigers versieht, für einen Leipziger Absolventen einigermaßen erstaunlich sei. Vielleicht hat Pletzinger dieses Misstrauen geahnt. Immer wieder trifft man in seinem Roman auf Passagen, in denen es explizit um das Beobachten und Dokumentieren der Gegenwart geht. Auf seinen Autorenfotos zeigt er sich gern mit skeptischem Blick, der verbürgt, am Leben nah dran zu sein.
Nicht nur für den Dunstkreis des Leipziger Literaturinstituts, sondern insgesamt kann man in diesem Frühjahr für junge Autoren mit ihren ersten oder zweiten Buchveröffentlichungen feststellen, dass sie auf Tuchfühlung gehen mit der Wirklichkeit, auch wenn sie es nicht wie Meyer oder Pletzinger durch ihr Auftreten noch einmal illustrieren. Das gilt für Charlotte Roches detaillierte Intimrasur- und Hämorrhoiden-Plauderei in ihrem Erzähldebüt „Feuchtgebiete“ genauso wie etwa für den erst 25-jährigen Reinhard Kaiser-Mühlecker, der mit seinem ersten Roman „Der lange Gang über die Stationen“ eine Physiologie des bäuerlichen Lebens entwirft.
Daraus muss jetzt kein Trend gestrickt werden. Denn dazu sind die Resultate viel zu unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie beim Schlendern und Blättern auf der Leipziger Messe das gute Gefühl entstehen lassen, dass sich das Interesse nicht nur reflexhaft auf die Veröffentlichungen junger Autoren richtet, sondern dass die wiederum sich für das Leben jenseits des Schreibens interessieren. Auf je andere Weise, aber allemal emphatisch. Und es geht in Ordnung, eine Verbundenheit durch ein etwas überdimensioniertes Plakat zu bezeugen, dessen Orange die grauen Leipziger Fassaden durchbricht. Feel the flavour.
WIEBKE POROMBKA
Dark Waver
„Wir sind gekommen, um zu schreiben“, kalauert die Sängerin Judith Holofernes der Band Wir sind Helden. Zum Pressetermin der Veröffentlichung des Tagebuchs der Musiker bei S. Fischer drängen sich wenigstens 500 Besucher im Saal 3 des Messezentrums. Applaus und Blitzlichtgewitter beim Einmarsch der Jungstars, fangeprägte Atmosphäre hier. Aber, muss man sie nicht einfach mögen, die Judith Holofernes, wie sie da charmant vom Abschütteln ihres einst „vermausten“ Auftretens als Liedermacherin berichtet, auch wenn das Tagebuch der Band nicht unbedingt auf gleicher Höhe mit Autoren wie Max Horkheimer oder Götz Aly des Traditionshauses Fischer zu handeln ist?
„Darf ich das mitnehmen?“ „Tasche für mich?“ Samstag und Sonntag sind die Tage der Prospektsammler auf der Leipziger Messe. Während die Aussteller über langsam, aber stetig steigende Messepreise klagen (ein paar Würstchen gibt’s im Pressezentrum allerdings immer noch für unschlagbare 1,25 Euro), labt sich offensichtlich ganz Leipzig an dem dargebotenen Event. Schwer bestimmbar dabei das Interesse: Die Lesungen abends in der Stadt sind wie immer gut besucht, die geringen Direktverkäufe manchen so manche Verlegerin jedoch etwas ratlos.
Mit dem Literaturmarkt muss das alles hier nicht viel zu tun haben, aber Spaß scheint es dennoch zu machen. Auf der Leipziger Buchmesse bricht jedenfalls samstags traditionell der Fasching aus. Schulklassen Pubertierender stürmen als Teufelchen, Feen oder Chinesen verkleidet die Messehallen. Das ist teilweise hübsch, teilweise aber auch derb, sehr derb anzusehen. Blankes Entsetzen auch im Gesicht echter Dark-Waver, die auf ihresgleichen als kostümierte Clowns treffen. Sind die auf der Suche nach „dem“ politischen Roman? Definitiv nicht. Nachdem sich die Kritik in Leipzig nicht auf den einen einigen konnte, geht die Suche weiter.
Vielleicht lohnt dabei ein Blick auf die kommende Messe im Herbst in Frankfurt und das Ausland. In Leipzig diskutierten die Schriftsteller Celil Oker und Ahmet Ümit vor deutsch-türkischen Freundschaftswimpeln über ihre Art von Literatur. Beide favorisieren spannende Unterhaltung und gehören zu den wichtigen Kriminalschriftstellern der Türkei. Ein Genre, das dort noch nicht so alt ist. Insgesamt können überhaupt kaum mehr als zwei Handvoll Schriftsteller von ihren Romanveröffentlichungen in der Türkei leben, berichten die zwei. Gut, dass es den Schweizer Unionsverlag gibt, der die beiden auf Deutsch verlegt und von Oker gerade den fünften Krimi „Dunkle Geschäfte am Bosporus“ herausbrachte.
Ümit, der einst der militanten Linken in der Türkei angehörte, sucht in seinen Romanen die Auseinandersetzung mit einer nicht ganz demokratischen Legalität und will über die Gewalt bestehender Gesetze sprechen. Oker ergänzt: „Wenn Sie in Istanbul Auto fahren, können Sie sich auch nicht einfach an die Gesetze halten, sonst kommen Sie nicht voran. Sie müssen also die Regeln überschreiten. Manche tun dies zu 100 Prozent. Ich mach’s lieber nur zu 20 Prozent, das scheint mir insgesamt besser.“ Andere Probleme hat derweil Feridun Zaimoglu. Deutschlands Türkenerklärer Nummer 1 hält sich mittlerweile für einen großen Abkömmling der deutschen Romantik. Am Arte-Stand will er sich von der Moderatorin auch nicht auf einen reduzieren lassen, der den Menschen nur „die Gefühlswelten zweier Kulturen“ näherbringt. Ihm gehe es um etwas „viel Wichtigeres“, nämlich „die Liebe zwischen zwei Menschen“. Wer will dem widersprechen?
ANDREAS FANIZADEH
Tag und Nacht
In der Hitze des Nachmittags hatte man plötzlich das ikonographische Foto für künftige Wälzer zur deutschen Literaturgeschichte vor Augen. Unter dem Glasdach der Messehalle die schäumende Bierflasche der Nachmittagssonne entgegenreckend: Clemens Meyer konnte jubelnd seinen Buchpreis-Triumph auf der Leipziger Messe sofort visuell verdichten. Die Welt der Buchstaben lebt auch von der Macht der Bilder. Der S. Fischer Verlag warb für seinen Leipziger Autor in der Stadt auf großen Plakatwänden wie ansonsten Pro 7 für Heidi Klum. Apropos Supermodel: Die Massen drängten sich anderntags derart, dass man nur seine nervende Stimme hörte – auch Bruce Darnell ist hier, warum auch immer. Ein paar Schritte entfernt wurde der diesjährige Kurt-Wolff-Preis verliehen. Hier herrschte das Feinsinnige, war die kulturelle Klasse noch unter sich: Dieser Preis für anspruchsvolle verlegerische Arbeit ging diesmal hochverdient an den Berliner Matthes & Seitz Verlag.
Alle sind da, alles passiert zugleich: Buchmessen sind der Ort, an denen das Land zu sich selbst kommt. Wunderbar skurrile Momente ergeben sich, Zufall und Notwendigkeit sind ineinander verwoben: Im Chaos zwischen den Massen wirkt alles wie von unsichtbarer Hand gelenkt. Über das „allgemeine Überschwemmtsein“ las PeterLicht abends im Künstleratelier Gebert/Reimann, draußen in der Spinnereistraße. Gemeint war nicht die Messe, sondern die Liebe. Das Publikum sang mit, als er ihm Handzettel zuwarf: „Wir sind jung und machen uns eben Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“. Anschließend ging es unter dem Leipziger Sternenhimmel zur anstrengend rauchfreien Party der jungen Verlage, wo man im lauten Dunkel permanent der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck zu begegnen glaubte. „Es war alles möglich, wir hatten Zeit, und wir waren mittendrin“, hatte PeterLicht zur Lage der Liebe gelesen. Der bei der Preisvergabe gegen Clemens Meyer unterlegene Feridun Zaimoglu verteidigte im Messetrubel seinen großen Roman „Liebesbrand“ tröstlich lächelnd gegen alle Gefühlsskeptiker. Mitnichten sei sein Held nur ins Verliebtsein verliebt: „David liebt Tyra wirklich. Amen.“
Spaß allerdings mache Schreiben nicht, so Zaimoglu: „Wir sind ja nicht in der Diskothek!“ Es sei eine quälende Sucht, eine ernste Sache. Am Freitagmorgen hatte es den wohl berührendsten Augenblick dieser Messe gegeben. Die drei Preisträger sprachen miteinander in der morgendlich ruhigen Halle über ihre Schreibweisen. Vor sich den Plastikbecher mit Kaffee, ging ein noch sichtlich von der Jubelnacht gezeichneter Clemens Meyer, Jahrgang 1977, mit schönem Ernst auf den heiter-weisen Übersetzer Fritz Vogelgsang, Jahrgang 1930 ein, der den Preis für seine jahrzehntelange Arbeit an Joanot Martorellis klassischem katalanischen Epos vom Weißen Ritter erhalten hatte. Beide rahmten die strahlende Freundlichkeit unter dem rotgefärbtem Haar der Sachbuchpreisträgerin Irina Liebmann. Literatur wird als Kunst weiterleben, so lautete die Botschaft dieser Szene. Und noch eine visuelle Verdichtung dieser Messe gab es: Vogelgsangs speckige braune Lederumhängetasche war natürlich mit dabei.
ALEXANDER CAMMANN