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■ Die italienischen Kinder feiern BescherungHeute kommt die Nikoläusin ...

Frankfurt (taz) – Wenn es sie nicht schon gäbe, man müßte sie erfinden. Wie zum Trotz gegen eine allzu herrschlerische katholische Kirche wird in Italien alle Jahre wieder knapp zwei Wochen nach Weihnachten eine Tradition gepflegt, die noch aus uralten heidnischen Zeiten stammt und sehr ernst genommen wird: Während in Resteuropa am 6. Januar biedere kleine Sternsinger mit gequälten Kasper- Melchior-Baltasar-Reimen den Ruf der Heiligen Drei Könige krampfhaft aufzumöbeln versuchen, erfreuen sich die italienischen Kleinen an einer höchst unchristlichen Bescherung. Denn heute nacht ist die Befana, die Hexe mit dem Besenstiel und den deftigen Sprüchen, gekommen.

Sie trägt statt einer rot-weißen Zipfelmütze einen großen schwarzen Spitzhut, hat keinen Bart und legt sonst nicht viel Wert auf vermeintlich elegantes Äußeres. Ihrem deutschen Kollegen Nikolaus aber gleich, verteilt sie an die guten Kinder Süßigkeiten und reichlich Geschenke, den schlechten wirft sie Kohlestückchen und den Ruß in die Socken. Dabei flucht sie fürchterlich nett, daß die Kinder nur lachen und es ihr nicht übelnehmen können. Im Supermarkt der weihnachtlichen Heilsbringer Santa Claus, Nikolaus und Weihnachtsmann ist die Befana sozusagen die Tante Emma der Branche. Anders als ihre knapp über 200 Jahre jüngeren Kollegen, Weihnachtsmann und Nikolaus, die vornehm und schnell mit Rentieren und Schlitten unterwegs sind, reitet sie noch immer auf einem klapprigen Holzstiel. Von dem bürgerlich-sauberen Habitus der kirchlichen Kopien haben sich die italienischen Kinder nicht lumpen lassen. Sie haben der gutmütigen alten Dame mit dem häßlichen Warzengesicht und dem Leinensack die Treue gehalten.

In jeder apenninischen Familie – und sei sie noch so tiefgläubig im Katholizismus verwurzelt – stehen der Befana alle Schornsteine offen. Über ihre Herkunft und ihr reichlich spätes Aufkreuzen kursieren die wildesten Gerüchte. Am plausibelsten klingt eine unter den Kindern weitverbreitete Version, die manch einem Ausländer erklären mag, warum die meisten Italiener so ihre Schwierigkeiten mit der Pünktlichkeit haben: Irgendwo in der Luft müssen sie sich getroffen haben, der christliche Weihnachtsmann und die bucklige alte Hexe mit dem fliegenden Besen. Und wieder muß er im eisigen Wind zu ihr gesagt haben: „Naaa, geht deine Uhr wieder nach? Hohoho, ho.“ Jedes Jahr, schwört der siebenjährige Marco aus einem Frankfurter Kindergarten, geht das so. Denn die schräge Dame ist nicht nur ein wenig daneben, sie ist zu allem Unglück auch etwas schludrig. Kein Wunder bei dem Alter– pi mal Daumen ist sie zwischen 400 und 500 Jahre alt.

Jedes Jahr, am 5. Januar, rufen die Kinder die Befana mit einem Gedicht: „La befana vien di notte / con le scarpe tutte rotte / col cappello alla romana / viva, viva la befana.“ Übersetzt heißt das: „Die Befana, die gute Fee, kommt wenn alle Menschen ruh'n, / die Füße in kaputten Schuh'n, / trägt 'nen Hut alla romana. / Es lebe, es lebe die Befana.“

Die Kinder hängen alte Strümpfe – am besten mit Löchern – an den Kamin und hoffen, daß die Befana sie mit Geschenken füllt. Wer keinen Kamin hat, bei dem reicht die Abzugshaube in der Küche. Wenn die Befana kommt, tanzt sie wie verrückt und singt die immergleiche Strophe: „Trullalla, trullalla, trullalla.“ In italienischen Kindergärten hier in Deutschland, in denen auch Kinder aus anderen Ländern sind, stellt die Befana ihre multikulturelle Ader unter Beweis. Kleinlich ist sie schon gar nicht, sie bringt allen Geschenke, auch Mehmet, Ludwig und Sanja werden etwas in ihren Strümpfen finden. Franco Foraci

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