Die "heute show" mit Oliver Welke: Allein gegen die Gurkentruppe
Als Moderator und Autor der "heute show" parodiert Oliver Welke den Wahnsinn des politischen Betriebs in Berlin und verschont dabei auch den eigenen Sender nicht (22.30 Uhr, ZDF).
Das ist jetzt bitter für die Kölner Kollegen, aber: 2011 fällt der Sommerurlaub flach. Das Risiko ist zu hoch. Sieht man ja an diesem Jahr: Kaum war die Redaktion Anfang Juni in den Ferien, fochten Christian Wulff und Joachim Gauck ihr Duell der Freundlichkeiten, um Staatsoberhaupt zu werden, in Hamburg verköhlerte sich Ole von Beust und die Koalitionspartner CSU und FDP erdachten im Dissens füreinander Umschreibungen aus dem Tier- und Kürbisgewächsreich. "Ich fand das äußerst unprofessionell, dass ,Wildsau' und ,Gurkentruppe' rausgehauen werden, wenn wir in der Sommerpause sind", sagt Oliver Welke ein bisschen enttäuscht. "Das muss besser werden."
Seit knapp anderthalb Jahren sorgt der 44-Jährige mit der "heute show" im ZDF für die fernsehgerechte Verklappung politischen Unfugs, der sauber seziert und dann dem Publikum zum Drüberlachen freigegeben wird. An diesem Freitag startet die neue Staffel.
Es hat geradezu kathartische Funktion, wenn Welke über Koalitionschaos, Bundespräsidentenrücktritt und Kirchenkrise lästert, weil sich so die ganzen Unglaublichkeiten, die täglich in der Zeitung stehen, am besten verarbeiten lassen: indem man den Wahnsinn offenlegt und sich darüber amüsiert. "Die Herausforderung ist, den Leuten immer wieder klarzumachen, wie absurd Politik ist. Wenn Angela Merkel aus dem Urlaub zurückkommt und als neues Motto ,Ernsthaftigkeit' ausruft, frag ich mich: Was war denn vorher?", sagt Welke. "Und wo gibt es das sonst schon, dass - wie bei der Brennelementesteuer - eine neue Abgabe beschlossen wird, und die Betroffenen sagen: ,Nee, das macht ihr bitte nicht.'"
Innerhalb weniger Monate hat sich die "heute show" ihren festen Platz im Fernsehen verdient. An den Quoten am späten Freitagabend sieht man das zwar noch nicht. Dafür aber an der Schonungslosigkeit der Macher, denen nichts und niemand heilig ist - auch nicht der eigene Sender.
"Es ist schon ein bisschen später. Ich weiß, zu diesem Zeitpunkt werden viele ZDF-Zuschauer bereits bettfertig gemacht", keilt Welke gegen seinen Arbeitgeber, lässt animierte Mainzelmännchen grausame Tode sterben und kommentiert süffisant die Ablösung des Chefredakteurs. Bei den Zuschauern kommt die Ironie an. Und das ZDF lässt die Revoluzzer gewähren, um zu zeigen, dass auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen Humor hat. Beschwerden von Politikern gibt es keine - jedenfalls keine, die Welke und sein Autorenteam direkt erreichen: "Die rufen natürlich gleich viel weiter oben an. Mit Leuten wie uns geben die sich nicht ab." Neulich hat der "heute show"-Anchor den Gesundheitsminister mal im Flieger getroffen, woraufhin der ihn ansprach: "Ich kenne Sie aus dem Fernsehen." Und Welke erwiderte: "Ich Sie auch."
Bloß als sich ein Referent der Pharmalobby kürzlich im Gespräch mit Reporter Martin Sonneborn um Kopf und Kragen redete, gab es richtig Ärger - aber nur, weil Sonneborn so unvorsichtig war, sich - nicht ganz korrekt - als "heute"-Mitarbeiter anzukündigen. Der anschließende Rüffel vom Programmdirektor war aber eher Formsache. Und der Film ein Klickmonster bei YouTube.
Gesichter: Martina Hill als Statistikerin "Tina Hausten", Hans-Joachim Heist als Kommentator "Gernot Hassknecht", Oliver Welke als Moderator "Oliver Welke".
Konzept: "Fake News" heißen Shows im amerikanischen Fernsehen, die aussehen wie Nachrichten, aber Satire sind. Prominentester Vertreter ist Jon Stewart mit seiner "Daily Show" bei Comedy Central. Die "heute show" wird immer wieder damit verglichen, Welke sagt aber: "Die Kollegen machen seit Jahren vier Shows pro Woche. Das ist eine völlig andere Welt." Jedenfalls: noch.
Team: Acht Autoren, vier Grafiker, vier Studenten, die den ganzen Tag fernsehen müssen, ein Producer und zwei Nachrichtenredakteure, die dem Team die Weltlage erklären.
Quote: Ach, egal, reden wir über Erfreulicheres.
Sender: ZDF. Ja, genau das ZDF, bei dem Humor lange Zeit bedeutete, dass ältere Herren mit Narrenkappen durch die Straßen ziehen, um einmal im Jahr lustig zu sein und sich dabei hoffnungslos zu betrinken. (psr)
Man sieht Welke ganz genau an, dass ihm die Kombination aus Nachrichtensatire und politischer Kommentierung großen Spaß macht, zumal er die Sendung nicht nur präsentieren darf, sonder auch als Autor aktiv ist: "Das letzte Mal, dass ich mit so großer Vorfreude zur Arbeit gefahren bin, war, als ich mit Oliver Kalkofe das ,Frühstyxradio' gemacht habe." Es war aber auch höchste Zeit, weil besagtes "Frühstyxradio", das in den 90er Jahren beim niedersächsischen Privatradio FFN zur Kultcomedy mit ausverkaufter Lesetour wurde, auch schon wieder 14 Jahre her ist. Und zwischendurch war zu befürchten, Welke würde zum hauptberuflichen Panelshow-Tingler, so oft, wie er die Sendungen wechselte.
Er war ständiger Gast in der RTL-Impro-Show "Frei Schnauze" und bei "Genial daneben" in Sat.1, moderierte auf Pro Sieben die Panelshow "Besserwisser" und lief kurzzeitig Gefahr, mit der Moderation von "Guinness - Show der Rekorde" bei RTL zum zweiten Oliver Geißen zu werden.
Dabei sah am Anfang doch alles nach einer ganz ordentlichen Karriere aus: Welke hatte Publizistik und Politik in Münster studiert, das Volontariat beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk quasi schon in der Tasche - bis er an der Uni sein Schicksal traf. Das Schicksal hieß Oliver Kalkofe und nahm den neuen Kumpel mit zu FFN, wo er ihn bei seiner Quatschsendung mitmachen ließ. "Das war wie ein Erweckungserlebnis!", sagt Welke, der das seriöse Volo sausen ließ, beim Privatradio anheuerte und fortan hauptberuflicher Comedyredakteur war. Kann ja mal passieren.
Dass er einige Zeit später beim Fernsehen landete, war ein genauso großer Zufall. "Aber ich glaube fest an den Zufall. Gerade in Medienberufen hängt so viel davon ab, wen man kennen lernt und zu welchem Zeitpunkt man wohin kommt."
Der Bielefelder kam zu Sat.1, wo Johannes B. Kerner und Reinhold Beckmann kurz vor dem Absprung waren und neue Moderatoren für die Bundesligashow "ran" gesucht wurden. Welke blieb bis zum bitteren Ende der Sendung (und dem Verlust der Bundesligarechte) - und gehört heute, nachdem Sat.1 "ran" für seine Champions-League-Übertragungen zurückgeholt hat, wieder zum Team. Empfohlen wurde er damals von einem Radiokollegen, "weil der wusste, dass ich auch in Sendungen, die nichts mit Fußball zu tun hatten, permanent über Fußball geredet habe", sagt Welke, der eigentlich bloß Fan war. "Ich hab auch mal eine Zeit lang im Radio versucht, Niedersachsen für Borussia Dortmund zu missionieren, was bei den Hörern aber nur so mittelgut ankam."
In gewissen Kreisen kam Welke nachher auch im Fernsehen nur so mittelgut an, weil er sich wagte, den Fußball mit Flapsigkeiten zu verunreinigen. Für hartgesottene Fans war das der Sündenfall. Welke sagt: "Es gibt viele eher konservative Zuschauer, die finden, dass jede Form von Wortwitz oder Ironie in der Sportberichterstattung überhaupt nichts zu suchen hat. Dadurch, dass ich das jetzt seit 14 Jahren mache, haben sich die meisten aber mit mir abgefunden." Und für die jüngeren gehört der lockere Ton längst dazu.
Daran, dass Welke weiter Spaß machen konnte, ist Rudi Carrell schuld. Der hatte Welkes Bühnenprogramm gesehen, das der gemeinsam mit Kalkofe auf Tour brachte, besorgte sich seine Telefonnummer, rief an und fragte: "Willst du meinen Platz bei ,7 Tage, 7 Köpfe' einnehmen?"
Nach ein paar Minuten hatte Welke begriffen, dass er keinen Rudi-Carrell-Imitator am Telefon hatte - sondern den echten. Und sagte im Schock zu. Ab 2003 saß er als festes Teammitglied neben Gaby Köster, Bernd Stelter, Kalle Pohl und Mike Krüger bei RTL und kommentierte die Ereignisse der Woche. Teil einer beim Feuilleton nicht sonderlich beliebten Sendung zu sein, kannte Welke schon von "ran". Und darf von sich behaupten, an zwei der meistgehassten deutschen Fernsehformate mitgearbeitet zu haben. Wobei die Beurteilung aus heutiger Sicht freilich milder ausfällt. "Im Nachhinein muss man der Sendung immer noch zugute halten, dass da jeder die Gags machen konnte, die er wollte", sagt Welke. "Das wird oft vergessen: dass es eine sehr freie Form war, wochenaktuell Fernsehen zu machen."
Mit der "heute show" geht das jetzt wieder. Dafür hat sich auch der kleine Umweg durch das Versuchslabor des Privatfernsehens gelohnt.
Jetzt genießt Welke es, Woche für Woche in Köln den Finger in die Wunden der Politik zu legen. Und die deutscher Nachrichtenmacher. "Eine solche Sendung kann nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk laufen", sagt er. Wegen der personellen Ausstattung, der Notwendigkeit, vorher juristisch alles genau prüfen zu lassen - und natürlich dem Ehrgeiz, in ordentlichem Tempo und 29 Minuten das politische Geschehen der Woche zusammenzufassen. "Bei den Privaten hab ich's schon erlebt, dass, wenn man den Namen eines Politikers erwähnt, jemand sagt: ,Nee, kannste nicht machen, den kennt keiner.' Auch wenn es um den SPD-Vorsitzenden ging." Aus dieser Perspektive hagelt es in der "heute show" Zumutungen fürs Publikum.
Die Leute verkraften das schon, glaubt Welke: "Wir halten unsere Zuschauer immer erst mal für zu schlau." Vielleicht könnte sich die Politik davon mal ein Scheibchen abschneiden.
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