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Archiv-Artikel

Die goldenen Regeln bei Diebstahl Wie ich mein geklautes Fahrrad geklaut habe und die Polizei den Fall löste

Neulich habe ich mir aus Versehen selbst mein Fahrrad geklaut. Eigentlich habe ich es dem geklaut, der es mir geklaut hat. Nein – eigentlich habe ich es ja gar nicht geklaut, weil es ja eh mein Eigentum war. Und trotzdem hat die Polizei es mir dann auch noch weggenommen. Ach, das ist alles nicht so einfach. Jetzt mal der Reihe nach.

Ich hatte also übers Wochenende mein Fahrrad an der S-Bahn geparkt. Als ich es abholen wollte, war das geknackte Schloss noch da und mein Fahrrad weg. Schade.

Unvernünftige Leute gehen dann nach Hause und ärgern sich. Ich tat das Richtige – und ging in Richtung Polizei. Das war wichtig: Denn nur 20 Meter entfernt vom Tatort fand ich mein Fahrrad wieder, ja, meines, aber: mit einem fremden Schloss. Abgeschlossen zwar, aber nicht angeschlossen. Vernünftige Leute tragen dann das Fahrrad nach Hause, brechen das fiese Fremdschloss auf und freuen sich: So schnell löst der Weg zur Polizei selten einen Fahrraddiebstahl auf. Hier hätte die Geschichte schon zu Ende sein können.

Aber wer ein ausgeprägtes Rechtsbewusstsein hat – so wie ich –, den plagt auf dem Heimweg ein unbeugsamer Schmerz: Was nun, wenn ein armer Papi am Vortag auf dem Flohmarkt besten Gewissens mein geklautes Rad neu erstanden hat – und es ihm nun bereits am nächsten Tag geklaut wird? Was, wenn der arme Papi dann Anzeige bei der Polizei erstattet? Und was, wenn ich demnächst mit einem geklauten Rad erwischt werde, das doch gar nicht geklaut ist, sondern schon immer meins war? Sie liegen richtig: Wer unvernünftig ist, geht also selbst zur Polizei, damit die weiß, wo sie den wahrheitsbeflissenen Hauptbesitzer und Fahrradzurückklauer findet, falls sich ein trauriger Papi meldet. Damit alles Recht und Ordnung hat. Das hab ich dann auch getan.

Aber ich sag mal so: Nicht immer ist es ratsam, alles so genau zu nehmen. Denn anstatt meine Adresse zu notieren und mich anzurufen, falls denn zufällig ein trauriger Papa Anspruch auf das Ding anmeldet, war das Verfahren komplizierter: Da könnte ja jeder beliebige Fahrraddieb kommen und behaupten, das von ihm eben geklaute Fahrrad sei auch vorher schon seins gewesen. Neee, erst mal Rahmennummer und Besitznachweise. Kaufvertrag? Schenkungsurkunde? Wie, so was haben Sie nicht? Und ein Foto von Ihnen und dem Fahrrad? Auch nicht? Gaaaaaaaanz schlecht!

Wenn die Faktenlage so erdrückend ist, nützt weder Hoffnung noch Verstand. Da nützt nur eins: ein langes Protokoll (Aufnahmedauer: zweieinhalb Stunden). Und ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren (Ermittlungsdauer: mehrere Wochen). Da saß ich naiver Bürger nun auf der Wache und sah zu, wie mein wiedergefundenes Fahrrad begutachtet, beschrieben, eingeschweißt, protokolliert und schließlich abtransportiert wurde – „an die dafür zuständige Dienststelle“ am anderen Ende Berlins. Und dann ging ich zu Fuß nach Hause.

Ein paar Wochen später bekam ich einen Brief von der zuständigen Dienststelle am anderen Ende der Stadt. Die Sachbearbeiterin hatte sich des Falls angenommen; ich sollte Stellung nehmen. Das tat ich dann natürlich. Und wissen Sie was? Nach einigen Wochen durfte ich mir dann mein Fahrrad abholen. Dass ich immer noch keinen Schenkungsvertrag meines toten Onkels, von dem ich das Rad vor Jahren bekommen hatte, vorweisen konnte, kommentierte die Dame auf der Stube zwar. Aber ich will fair sein: Sie gab mir mein Rad dann einfach zurück.

Sie lachen jetzt natürlich, von wegen: Wie doof ist der denn?! Geht freiwillig zur Polizei mit so was. Ich hab’s ja jetzt auch verstanden. Das lässt man lieber.

Übrigens: Seit anderthalb Jahren vermisse ich meinen Motorroller. Er ist blau, hat einen kaputten Auspuff und stand bis dahin immer im Hof. Irgendwie weiß ich nicht richtig, was ich machen soll. Also falls jemand von Ihnen das Ding gesehen hat – ich würde mich freuen! MARTIN KAUL