Die frohe Botschaft: Hören und Gehorchen
Niemand hat mehr ein Monopol auf das Verkünden froher Botschaften. Das ist gut so.
Wers glaubt, wird selig. Das ist der eigentliche Inhalt jeder zertifiziert echten "frohen Botschaft". Die gute Nachricht lautet demnach immer, dass es keine schlechte Nachricht gibt, nie mehr, bis ans Ende aller Zeiten. Was gilt, sofern wir uns dem christlich geprägten Abendland zugehörig fühlen. Gerade zu Weihnachten, wenn wir feiern, dass "uns ein Kind geboren sei" oder, wie es in weihevollerem Bibelsprech heißt, in Paulus Brief an die Römer: "Die frohe Botschaft, die er durch seine Propheten in heiligen Schriften vorher verheißen hat, von seinem Sohn, der aus der Nachkommenschaft Davids dem Fleische nach hervorgegangen ist." Hm. Und das soll nun die frohe Botschaft sein? Eine Geburtsanzeige? Im Ernst?
Dabei war man auch zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon weiter. Im Dunkel homerischer Vorzeit war es noch das Privileg von herrschaftlichen Halbgöttern, blinden Dichtern oder berauschten Orakeln, dem Volk göttliche Nachrichten von Belang zukommen zu lassen. Aus berufenem und beglaubigtem Munde sozusagen kam die Botschaft buchstäblich von oben herab, ihre Sendrichtung war die Vertikale und ihr Inhalt unbedingt bindend. Hören und Gehorchen waren eins.
Der Medienphilosoph Villem Flusser hat darauf hingewiesen, dass das Dialogische zur Erzeugung neuer Information dient, während der Diskurs nur auf deren Verbreitung zielt. So waren es denn auch seltsame Leute, die die hergebracht hierarchische Botschaftsstruktur mit ihren Dialogen aufbrachen. Leute, denen es erstmals in der Menschheitsgeschichte weniger um die nackte Haut oder einen vollen Magen ging. Sondern darum, sich in aller luxuriösen Muße lustwandelnd und eben dialogisch so hartnäckig über Nebensächliches auszutauschen, bis sie das Grundsätzliche darin herausgearbeitet hatten. Philosophen eben, deren spielerischer Umgang mit Gewohntem und Gegebenem nur eines kategorisch ausschloss: das Gehorchen.
Dieser Text erscheint in der aktuellen vom 24. Dezember – zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Wer darf wem welche Nachrichten übermitteln? Und warum? Unter welchen Bedingungen? Mit welchem Zweck? Und kann es denn, wenn übermittelt, überhaupt die reine Wahrheit sein? Das philosophische Gerede von Plato bis Aristoteles kam von Hölzchen auf Stöckchen, verharrte nicht in ehrfürchtiger Erwartung - und holte so den Botschaftsfluss aus der Vertikalen, demokratisierte und horizontalisierte ihn. Ein ziemlich naiver Langweiler, wer in einer so skeptischen Atmosphäre noch "frohen Botschaften" Glauben schenken wollte.
Man steckt ja bekanntlich nicht drin, aber die Einwohner einer randständigen Ostprovinz des noch jungen römischen Kaiserreiches dürften sicher einiges gewohnt gewesen sein, unter anderem eben auch lendenstolze Lokalfürsten, die in einem ganz ähnlichen Ton ihre neugeborenen Thronfolger bejubelten. Die einzigen anderen guten Nachrichten, die sich damals von zentraler Stelle aus an ein breiteres Publikum richteten, betrafen erfolgreiche Kriege oder erfolgreiche Ernten - und kamen in der Regel aus Rom.
Eben dort, am sinnesfreudigen und selbstsicheren Nabel der Welt, hätte man freilich schon stutzig werden können angesichts der ziemlich angriffslustigen "frohen Botschaft", wie sie in Markus 1,14-15 formuliert ist: "Nachdem aber Johannes gefangen gesetzt war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße, kehrt um und glaubt an das Evangelium!", was im Klartext nichts anderes bedeutet als eine Kampfansage an das Imperium.
Das Evangelium (ursprünglich: eu-angelion, "frohe Botschaft") besteht zu diesem Zeitpunkt vor allem in der Behauptung einer lebensmüden Selbstmordsekte, alles Weltliche habe nun dem Reich Gottes zu weichen, wie es sich in Auftritt und Abgang Jesu ankündigt. Der "Sohn" und unmittelbare Botschafter Gottes wäre womöglich eine kuriose Anekdote für Fachleute geblieben, hätte er durch sein Wirken die Botschaftsstruktur nicht wieder in die Vertikale gezwungen. Im Gegensatz aber zum herkömmlichen herrschaftlichen Kommunikationsfluss, bei dem einer zu vielen spricht, konnte sich die "frohe Botschaft" in der Antike verbreiten wie eine virale Infektion: Jeder, der sie hörte, war damit zugleich ermächtigt und ermuntert, sie weiterzugeben.
Eingeladen in diese neuartige und alle sozialen Unterschiede überbrückende "communio" (Gemeinschaft mit Christus) war jeder - nur der dialektische Zweifler altgriechischer Schule nicht. Wer über die angeblich so frohe Botschaft erst einmal nachdenken will, statt sofort in Seligkeit zu zerfließen, der wird hier nach Kräften diskreditiert: "Wenn unsere frohe Kunde auch verdeckt ist, dann ist sie bei denjenigen verdeckt, die zugrunde zu gehen drohen, deren skeptische Gedanken der Gott dieser Zeit blind macht für das Licht der frohen Kunde. Und so sehen sie den Glanz des Christus nicht, der Gottes Ebenbild ist. Wir verkünden nämlich nicht etwa uns selbst, sondern Jesus Christus als Herrn, uns selbst aber als eure Diener um Jesu willen" (Korintherbrief 4,3-6).
In diesem letzten Satz klingt auch eine schöne Selbstbeschreibung des berufenen Boten an, der sich als "reines Medium" versteht, als dienender und verkündender Geist in der Tradition der Engel (vom altgriechischen Wort "ángelos", der Bote), denn die waren ja in erster Linie auch immer Botschafter. Sie repräsentieren nicht wie etwa ein kaiserlicher Emissär, im Gegenteil: In ihnen muss der Absender selbst als anwesend gedacht werden.
Dies alles dürfte allerdings noch der frohesten Botschaft kaum genutzt haben - wäre ihren wichtigsten Verkündern nicht spätestens im 9. Jahrhundert die welthistorische Pointe gelungen, sich in eben jenem verlotterten Rom zu installieren, das sie so lange bekämpft hatten. Offiziell ist der Papst zwar Papst und damit Oberhaupt der katholischen Kirche, weil er am Grab des Heiligen Petrus sitzt. Tatsächlich aber fand hier der Bischof von Rom zunächst all die zentralisierten Macht- und Kommunikationsmittel vor, die im verwaisten Zentrum des längst zerbröckelten Imperiums intakt zurückgeblieben waren.
Von Rom aus hatten die Cäsaren mithilfe eines wahren Spinnennetzes aus Relaisstationen, mit Münzprägungen, einem Heer von Gesandten und offiziellen Dokumenten über Jahrhunderte mit ihren Weisungen und Botschaften einen Raum kontrolliert, der vom Atlantik bis zum Roten Meer reichte. Im Prinzip war alles, was der Papst zu tun hatte, in diese ungenutzten Informationskanäle seine "frohe Botschaft" einzuspeisen - dergestalt verstärkt, war sie noch im letzten Winkel des späteren "christlichen Abendlandes" nicht mehr zu überhören. War schon der vergöttlichte Kaiser ganz im Sinne Marshall McLuhans zugleich Medium und Botschaft, so schlüpfte der Papst gleichsam in dessen Schuhe - und warf sich überdies sogar noch den sakralen Cäsarentitel des "pontifex maximus" über. Diese übermächtige Allianz aus kaiserlicher und christlicher "Sendetechnik", wie Peter Sloterdijk diese theokratische Telekommunikation nennt, sollte ein ganzes Weltalter der "frohen Botschaft" begründen.
Mit diesem Weltalter, also dem Mittelalter, mit Buchdruck und der daraus resultierenden Aufklärung ging der Kirche allmählich auch das Monopol auf frohe Botschaften flöten. Heute leben wir - nach einem Jahrhundert der galoppierenden Massenkommunikation und zu Zeiten des omnivernetzenden Internets - in einem Gewirr manchmal widerstreitender, meistens werbender und allemal redundanter Stimmen und Zeichen. Die einzigen guten Nachrichten in diesem apokalyptischen Bombardement sind jene, in denen wir uns gegenseitig noch einen Aufschub der Apokalypse versprechen. Darüber hinaus gibt es keine heilsgeschichtlich wirksame frohe Botschaft mehr.
Franz Kafka hat unsere desolate Situation schon 1914 in einem feinen Aphorismus ausgedrückt: "Sie wurden vor die Wahl gestellt, Könige oder Kuriere zu sein. Nach Art der Kinder wollten sie alle Kuriere sein, deshalb gibt es lauter Kuriere. Und so jagen sie, weil es keine Könige gibt, durcheinander und rufen einander selbst ihre sinnlos gewordenen Meldungen zu".
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