■ Die Anderen: Die britische "Times", "Il Messaggero" aus Rom, der Wiener "Standard" und die Pariser Tageszeitung "Le Figaro" zu der Landtagswahl in Bayern und zur künftigen Bundestagswahl
Die britische „Times“ glaubt nicht daran, daß Bayern Helmut Kohls Chancen entscheidend verbessert hat: Für den bedrängten Helmut Kohl ist der Triumph von Edmund Stoibers CSU bei den Bayern-Wahlen ein Hauch von Sauerstoff in einem ungelüfteten Raum. Die landesweite Bedeutung liegt wirklich in der Frage, was es für das Schicksal von Kohl bedeutet hätte, wenn die von Gerhard Schröder geführte Oppositionspartei SPD in diesem konservativen Bundesland beträchtliche Zugewinne gemacht hätte. Da niemand Stoiber die Schuld gegeben hätte, dessen Ansehen unter den Bayern kaum höher sein kann, wäre jeder Rückschlag für die CSU zwangsläufig dem Kanzler angelastet worden. Er und seine CDU hätten dann wie die lahmsten aller Gäule ausgesehen, während die Partei zum Endspurt angepeitscht wird.
„Il Messaggero“ aus Rom hält die Bundestagswahl noch für offen: Zumindest in einer Sache sind sich die Matadoren des Wahkampfes einig: Noch ist nichts entschieden, der Ausgang der Wahlen ist noch immer offen. Kohl hat in Bayern vielleicht nicht die Fahrkarte für einen automatischen Verbleib im Kanzleramt einkassiert, aber seit Sonntag hat er einen politischen Scheck mehr in seiner Tasche. Dagegen muß Schröder zum ersten Mal in diesem Wahlkampf mehr auf seine diplomatischen Fähigkeiten als auf seine Talente als politischer Selbstdarsteller setzen.
Der Wiener „Standard“ vermutet, daß Stoiber ein Konkurrent für Schäuble wird: Mit dieser eindeutigen Bestätigung durch den Wähler hat sich der ehrgeizige Ministerpräsident für Höheres qualifiziert. Daß er sich das Amt des Bundeskanzlers zutraut, ist bekannt. Nun hat ihm auch der CDU-Chef, der nach diesem Sieg gar nicht anders konnte, die Eignung für jedes politische Amt in der Bundesrepublik attestiert. Bei einer Wahlniederlage der Union, die dann klar auf das Konto der CDU gehen würde, wird Stoiber Kohls Wunschnachfolger Wolfgang Schäuble die nächste Kanzlerkandidatur streitig machen. Stoiber und die CSU haben sich schon bisher gegen den Automatismus in der Kohl-Nachfolge verwehrt.
Auch die Pariser Tageszeitung „Le Figaro“ sieht Edmund Stoiber nach seinem Sieg auf dem Weg nach Bonn: Der „Effekt Stoiber“ hat den „Effekt Schröder“ ausgelöscht. Der bayerische CSU-Führer hatte den Wahlkampf gegen Gerahrd Schröder geführt und den Rivalen von Helmut Kohl in allen seinen Reden attackiert, als ob er selbst Kandidat für das Kanzleramt wäre. Edmund Stoiber hat sich so eine Ausgangsposition als potentieller Kandidat für die Nachfolge von Kohl in den nächsten Jahren geschaffen. Der bislang auserkorene Kronprinz Wolfgang Schäuble, der den bayerischen Verbündeten nicht am Herzen liegt, darf sich künftig auf einen ernsthaften Konkurrenten einstellen.
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