■ Die britische Regierung und Sinn Féin verhandeln direkt: Reine, gemeine Taktiker
Das hätte man schon vor Wochen haben können: Es waren rein taktische Erwägungen der britischen Regierung, direkte Verhandlungen mit Sinn Féin so lange hinauszuzögern. Weil man Nordirlands Unionisten, auf deren Stimmen man im Unterhaus angewiesen ist, nicht unnötig verärgern wollte, mußte Sinn Féin nach dem IRA-Waffenstillstand vor acht Monaten zunächst unter Quarantäne gestellt werden. Zu diesem Zweck initiierte die Regierung in London ein semantisches Hickhack, das vor allem in Irland und den USA zunehmend auf Unverständnis stieß. Hatte das Nordirlandministerium zunächst die utopische Vorbedingung aufgestellt, die IRA müsse ihre Waffen herausrücken, so schwächte man das später etwas ab: „Ausmusterung“ war fortan der dehnbare Begriff, über den man reden wollte. An diesem Stand der Dinge hat sich seit Wochen nichts geändert.
Daß die britische Regierung nun Sinn Féin dennoch an den Verhandlungstisch bittet, hat ebenfalls taktische Gründe: Zum einen hat ein Kabinettsmitglied bereits mit den politischen Repräsentanten der loyalistischen Paramilitärs verhandelt, ohne daß man zuvor auf „Ausmusterung“ der Waffen beharrte; zum anderen entlud sich der Unmut über das britische Schneckentempo bei den Sinn-Féin-Anhängern verstärkt in Demonstrationen. Mit den langerwarteten direkten Verhandlungen will man den Straßenprotesten den Wind aus den Segeln nehmen.
Das britische Timing ist zynisch: Zur selben Zeit ließ Premierminister John Major sein Friedensangebot an die neun europafeindlichen Tory-Rebellen veröffentlichen, die im Herbst aus der Fraktion ausgeschlossen worden waren – was die Gespräche mit Sinn Féin in den britischen Medien wunschgemäß überschattet. Außerdem steht morgen bei der parlamentarischen Fragestunde Nordirland auf der Tagesordnung, und übermorgen trifft Nordirlandminister Patrick Mayhew mit dem irischen Außenminister Dick Spring zusammen. Bei beiden Terminen hätte die britische Regierung wegen ihrer Zögerlichkeit auf unangenehme Fragen gefaßt sein müssen.
Natürlich sind die angekündigten Gespräche zu begrüßen – viele Kommentatoren sprechen gar von einem „historischen Ereignis“. Doch man wird den Verdacht nicht los, daß die britische Regierung ein Katz- und Mausspiel betreibt, bei dem der Friedensprozeß am Ende auf der Strecke bleibt. Zwar kann die IRA nicht wieder zu den Waffen greifen, weil es dafür keine Sympathien bei den eigenen Anhängern geben würde, doch ob das in zehn Jahren auch noch der Fall sein wird, hängt zum Großteil von der britischen Bereitschaft ab, Sinn Féin jetzt in eine politische Lösung des Konflikts voll miteinzubeziehen. Ralf Sotscheck, Dublin
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