„Die Zeit schlägt dich tot“ in Berlin: Punk is dead
Fabian Hinrichs pisst auf Bühne und Berlin: In „Die Zeit schlägt dich tot“ bei den Berliner Festspielen inszeniert er sich als leidender Bohemien.
Fabian Hinrichs, geboren 1976 in Hamburg, war Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne. Er arbeitet mit Schorsch Kamerun, Studio Braun, aktuell vor allem mit René Pollesch. 2010 wurde er zum „Schauspieler des Jahres“ gekürt. Was immer auch solche Auszeichnungen besagen mögen, wer Hinrichs auf der Bühne schon einmal sah, wird ihm eine gewisse Brillanz nicht bestreiten wollen. Doch ist ein toller Schauspieler auch automatisch ein große Texter oder Regisseur seiner selbst? Hm, eher selten. Bierbichler vielleicht.
Am Samstagabend hatte Hinrichs jedenfalls Gelegenheit, der Theatergemeinde zu zeigen, was er über die Schauspielerei hinaus philosophisch drauf hat. Für sein Einpersonenstück „Die Zeit schlägt dich tot“ schwingt er sich an einem Strick über die Bühne der Berliner Festspiele, gezwängt zunächst in ein lächerlich wirkendes, eng anliegendes Anatomiekostüm, und rezitiert ein wenig Klassik.
Die muss man sich immer erst mal ironisch untertan machen, die Klassik, bevor man sich weiter vorwagt. Hinrichs lässt in der Folge seinen Hinrichs über den Kunstrasen der Bühne hoppeln und Weltschmerzsätze sagen: „Berlin, ich will nicht mehr, ich wollte es mal, jetzt nicht mehr, ich will was Neues, ich kann nicht mehr; wo ist die Liebe, wo sind die Menschen“ usw. Oje, es scheint ihm nicht gut zu gehen.
Hinrichs lässt Hinrichs über die Bühne hoppeln
Dem Schauspieler scheint vieles blöde und abgestumpft. Das Leben in der Großstadt voller – ja gibt’s so etwas! – Ellbogen, und Scherz muss aus irgendeiner Volksbühneradikalitätskantine schon sein: Die Kinder der neuen Hauptstadt heißen Carl-Leander – so was von blöde aber auch! Ist ja vielleicht auch wirklich blöde, nur weiß man das halt alles schon. Die dargebotene Bühnenkritik klingt glatt und selbstgefällig. „Eines ist sicher: Berlin ist nicht das Herz von Deutschland, München ist es auch nicht, Düsseldorf auch nicht. München ist das Portemonnaie, Düsseldorf ist das Portemonnaie.“ Ja und?
Allein auf der Bühne ist der AutorSchauspielerRegisseur Hinrichs sehr, sehr allein mit seinem Beklagen des Ach-Allzu-Menschlichen in der großen, großen bösen Theaterbühnenstadt. Punk ist das nicht, auch wenn er gestützt auf Band und wohltemperiertes Schlagzeug sich von der Attitude immer wieder als solcher geriert. Doch Hinrichs lässt in jeder Sequenz erkennen, dass er es ironisch meint. Immer schön die Szenen brechen, man will ja nicht tatsächlich für unterkomplex gehalten werden. Der irre Blick und das süße Lächeln, Leidenschaft und Charme wirken hingegen am ehesten noch, so er den direkten Kontakt mit dem Publikum sucht. Von der Bühne kommt der große Junge, streichelt die Theatergäste, bis sie ihm lustig nachsprechen: „Ich hab dich lieb, du siehst gut aus.“
Gebrochene Szenen, Sequenzen voller Ironie
Doch: Sehnsucht, Trauer, Tod, Liebe, Zorn, Einsamkeit – aus dem Aufsagen von ichbezüglichen Gemütszuständen wird hier kein großes Stück. Vielleicht hätte Fabian Hinrichs einfach drei Seiten aus Rainald Goetz’ neuem Roman „Johann Holtrup“ sprechen sollen. In puncto Härte, Negation und Text-Bühnentauglichkeit wäre er damit wohl näher an jene Ästhetik herangerückt, die er zu suchen meint. Im zur Premiere dargereichten Programmfolder erinnert Hinrichs die Begegnung mit einem alten Schulfreund. Den Schock, nach Jahren jemanden zu treffen, der einmal okay schien und nun völlig verspießert ist.
Doch „Die Zeit schlägt dich tot“ kennt keinerlei Erzählung, keine Authentizität, die Inszenierung kreist ausschließlich um das eigene verobjektivierte Selbst, Phrasen einer innerlich leidenden Künstlerboheme als dem besseren Menschenwesen. Das ist zu viel der selbstbezüglichen Schauspielerhirnsuppenregiebastelei – auch wenn’s von einem außergewöhnlichen Künstler ist.
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