Die Wochenvorschau von Bert Schulz: Berlin in der Basisvariante
Vergleicht man die vergangene Woche mit vielen vorhergegangenen, muss man sagen: Das Leben in Berlin war doch stets recht berechenbar. Es gab fixe Termine politischer, kultureller, vergnüglicher oder demonstrativer Art, die lange im Voraus angekündigt wurden, auf die man sich freuen konnte und die dann bisweilen in dieser immer montags erscheinenden Rubrik benannt wurden: Das kommt und das und das auch noch.
Damit ist es nun erst mal vorbei. Wegen der Ausbreitung des Coronavirus und der Absage von Terminen jeglicher Art – von der Pressekonferenz bis zum Medizinkongress, vom Konzert mit 10.000 Besuchern bis zur Debatte im kuscheligen taz Café, vom Freitagsgebet bis zur größeren Hochzeitsfeier – entfällt die Antwort auf die Frage, was diese Woche kommt. Berechenbar ist nix mehr. Was soll mensch da empfehlen?
Es bleibt eigentlich nur der Rückzug ins Private. Und wer sich den guten Vorsätzen von Neujahr entzogen hat mit der Begründung, die würden eh nur eine Nacht halten, bekommt jetzt, wenn auch unfreiwillig, eine prima Gelegenheit, darüber noch mal „in sich zu gehen“, wie es so schön heißt. Denn angesichts der blanken Not – öffentlich feiern gehen geht nicht mehr, privat ist es auch so gut wie unmöglich – fällt vielleicht der Verzicht auf Alkohol vielleicht umso leichter. Zumindest für ein paar Wochen.
Oder, wer unbedingt will, hält es umgekehrt: Kein Tag in diesen Tagen ohne Alk. Und sei es vor der Glotze.
Gleichzeitig bewirkt der Entzug von Kulturleben jeglicher Art – Konzerthallen, Museen, Theater, Clubs sind dicht – die Infragestellung des Lebens in der Großstadt überhaupt. Was bleibt von Berlin denn eigentlich ohne die Option auf Party, Musikgenüsse, pralle Theatermonologe, großes Kino? Rotzige Mitmenschen, dreckige Straßen und Luft, Autofahrer, die Radler und Fußgänger für überflüssiges Beiwerk halten, ein M29, der nie oder dauernd kommt. Reicht das? Oder: Wem reicht das?
Andererseits fehlen auch die touristischen Horden, die kotzend durch Kreuzkölln oder auf E-Rollern durch Mitte ziehen; es fehlt die Ablenkung durch Amüsements. Es bleibt: die Stadt an sich, in einer Art Basisvariante. Und da es langsam heller wird und Frühling und überhaupt, lässt sich die kommende Woche als Start in eine Neuentdeckung Berlins denken. Mal sehen, was da kommt.
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