Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Wir werden gesünder krank, Arcandor wird zur Religionsgemeinschaft und die Niederlande röcheln, analysiert Friedrich Küppersbusch.
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
Friedrich Küppersbusch: Labour zerlegt, Kabinett leert sich.
Was wird besser in dieser?
Ob die Lafo nehmen? Wenn sie sonst keinen mehr haben?
Hat US-Präsident Barack Obama mit seiner Rede an die Muslime in Kairo den Islam mit den USA versöhnt?
Nein, er ist dabei, die USA mit sich selbst auszusöhnen. Zunächst bessert er das Ansehen Amerikas in der Welt, und das stärkt die, die sich des Bush-Regimes schämten. Bushs Kriege hingegen dauern an. Kriegsgegner und -opfer verlieben sich nicht sofort, wenn der gegnerische Anführer mal zum Feldgottesdienst bittet. Obama macht seinen eigenen Leuten klar, dass über dem schießwütigen Sheriff der gerechte Bürgermeister der Nation gut steht. Allein das dauert schon.
Der Platz des himmlischen Friedens in Peking war am Donnerstag komplett abgeriegelt. Die Zensur in China beschnitt die Berichterstattung über den Gedenktag des Tiananmen-Massakers. Warum schweigt der Westen?
Ja, nun. Der Westen hat auch 500 Jahre zur Erfindung des Schießpulvers in China geschwiegen, und es dann aber auch gleich fürs Morden statt für possierliche Festraketen verwandt. Wir sind im Zuge eines dreitausendjährigen zivilisatorischen Prozesses auf einem so gefühlten Sonnenbalkon der Zivilisation angekommen. Tiananmen war in jeder Hinsicht - nicht nur aus unserer spezifischen Perspektive - ein Folterkeller. Es geht also drum, zu vermitteln, dass es in universeller Perspektive verbrecherisch war. Was der Westen hingegen denkt, ist eine abstrahierte Form davon, dass in Deutschland ein Sack Kartoffeln umfällt. Die historische Entwicklung Chinas verläuft anders und muss das, so wie die Afrikas oder Indiens auch. In vielerlei Hinsicht wäre ihnen zu wünschen, dass sie nicht da landen, wo wir gerade nicht mehr weiterwissen. Das westliche "Guten Tag, wir wissen alles besser" unterscheidet sich nicht von goldgeilen Conquistadores oder besonders charmanten Wikingern.
Opel scheint gerettet, doch Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist immer noch skeptisch. Gewinnt der Mahner Guttenberg so für die Union wichtige Stimmen derer zurück, die die Nase voll von solch großzügigem Umgang mit Steuergeldern haben?
Guttenberg ist der "junge Mann zum Mitreisen" dieser Bundeskirmes für die letzte Tournee. Danach wird die FDP das Ressort einfordern, deshalb war Glos stinkig und wollte den Job sonst keiner haben. Guttenberg hat also nur die Chance, diesen Job so gut zu machen, dass er danach mit einer anderen Rolle im schwarzgelben Kabinett belohnt wird. Und die nutzt er. Wobei es nach der kompletten Implosion der neoliberalen Heilslehren leichter ist, besonnen zu handeln, als es aussieht.
Der Handelskonzern Arcandor bekommt die Hilfe vom deutschen Staat dagegen wohl nicht. Ist das gerecht?
KarstadtNeckermannQuelleThomasCookKDWAlsterhausWertheim lässt sich nicht, wie Opel, als ungeliebtes Aschenputtel und vernachlässigtes Adoptivkind böser ausländischer Onkels verkaufen. Noch 2006 wies der Laden 346 Mio Gewinn aus - wo sind die hin? Was ist mit der Abfindung Middelhoffs, was mit einem Beitrag der größten Eigner, Oppenheim und Schickedanz? Hier wurden Gewinne privatisiert und sollen die Verluste sozialisiert werden. Ehrlicher wäre ein Antrag Arcandors, als Religionsgemeinschaft Steuern einziehen zu dürfen. In der Sache geht es offenbar eh darum.
Europa hat gewählt. In den Niederlanden ist die rechtspopulistische Partei zweitstärkste Kraft. Mit welchen Gefühlen sehen Sie rüber ins Nachbarland?
Erschrocken. In vielerlei Hinsicht waren die Niederlande maßstabsetzend für weltoffenen modernen Liberalismus. Nun röcheln sie an ihrem unverarbeiteten Kolonialismus. Oude Kaas. Buren. Dunkeloranje.
Eine "Ampel" aus Angaben zum Fett-, Zucker- und Salzgehalt soll die Lebensmittelkennzeichnung vereinheitlichen. Essen wir jetzt gesünder?
Nee, wir werden klüger krank. Immerhin belegt es, dass der Verbraucher deutlich mächtiger ist als der Mitarbeiter, denn "Dumpinglohn" und "blöde Arbeitsbedingungen" steht ja auf der Packung noch nicht drauf.
Am Freitag heiratet Boris Becker zum zweiten Mal. Irgendwelche Wünsche, Ratschläge?
Nein. Aber in diesen Zeiten freue ich mich für jede/n, die noch heil aus den Niederlanden rauskommt.
Daum bricht nach Istanbul auf. Heynckes wechselt von Bayern zu Bayer. Hertha-Hoeneß geht, Bayern-Hoeneß bleibt. So dreht sich das Bundesligakarussell. Ist Ihnen schon schwindelig?
Nee, denn das lenkt ja doch alles nur ab von der für die nächste Saison entscheidenden Frage:
Und was machen die Borussen?
Kein Pokal, kein europäischer Wettbewerb, keine großen Rochaden - volle Konzentration aufs Kerngeschäft: unterschätzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!