Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Aldi wird zur "Kirche der Schnäppchen", das Netz schafft Wahres wie Falsches und der Sozialstaat ist jetzt passé.
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
Friedrich Küppersbusch: Die kürzeste Nacht des Jahres ist schon wieder durch!
Und was wird besser in dieser?
Köttbullar bei Ikea, Restposten jetzt günstiger, deutlich weniger Holzanteil als in den meisten Möbeln.
Im Iran gehen die Menschen nach der mutmaßlich manipulierten Wahl auf die Straße, bei den Protesten kommen mehrere Demonstranten ums Leben. Herrscht bei Ihnen eher die Angst vor einer Eskalation oder Freude in Erwartung eines politischen Wandels vor?
Wenn alle Perser, die eine westlich-demokratischen Entwicklung ihres Landes wollen, nach Teheran fahren, hat die deutsche Taxi-Innung ein Personalproblem. Viele sind seit dem Ende des Schah-Regimes nach Europa geflohen, die verbliebene Bevölkerung hat Chomeini damals tatsächlich zugejubelt. Bush sen. hielt Iraks Saddam an der Macht nach dem ersten Golfkrieg, um die Ajatollahs zu bedrängen. Seit dem zweiten Golfkrieg drohte Bush jun. mit einem Angriff auf Iran. Bei allen Gegensätzen - in einem stimmte das Teheraner Regime bisher mit den USA und dem Westen überein: "Was die Menschen dort wirklich wollen, ist uns doch scheißegal." Die Welt besteht nicht aus glücklichen westlichen Ländern und armen nichtwestlichen, die wir noch nicht kuriert haben.
Durch die Nachrichtensperre im Iran werden exzessiv Onlinekommunikationsformen genutzt. Erreicht hier das Internet, was Enthusiasten schon lange hofften: dass das Web demokratisiert und eine vollständige Zensur unmöglich macht?
Seit die Bundesregierung die Zensur des Netzes anstrebt, schöpfe ich Verdacht, dass es doch was taugt, ja. Zunächst fasziniert mich, dass wir alten Medien nicht wirklich über Ereignisse berichten, sondern über Skype-Gespräche, Mobiltelefonfilmchen, Chats und Blogs und Vlogs: Über den vermuteten Niederschlag vermuteter Ereignisse im neuen und künftigen Medium. Dem Journalismus stellt sich neben der Nachrichtenbeschaffung die viel heiklere Herausforderung der Validierung. Nachdem wir einen Krieg gegen Massenvernichtungswaffen berichtet haben, an dessen Ende klar war, dass es nie Massenvernichtungswaffen gab: Was passiert da gerade jetzt? CIA-Agenten verteilen Handys? Widerstandskämpfer bloggen sich um Kopf und Turban? Das Netz schafft von allem mehr, von Wahrem und Falschem.
Der libysche Revolutionsführer Gaddafi traf vergangene Woche den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi in Italien. Ein schönes Paar?
Ja, erstaunlich, mit wem sich Gaddafi so abgibt.
Dienstag entscheidet das Verfassungsgericht über eine Klage der Kirchen zur Sonntagsladenöffnung. Möchten Sie sonntags einkaufen oder beten?
Arbeiten fand ich ganz o.k., solange ich es durfte, nicht musste. So herum wird sich die Frage für VerkäuferInnen jedoch nicht stellen, sondern: sonntags antreten oder Job weg. Ähnlich wie durch die Freigabe von Ladenöffnungszeiten wird so Kaufkraft umverteilt von kleinen zu Großbetrieben. Und für alle anderen wird der Konsum als eigentlicher Lebenszweck und Freizeitinhalt forciert. Vielleicht könnte der Pfarrer ein paar Sonderangebote hochleben lassen am Predigtende, oder Aldi tauft sich um in "Kirche der Schnäppchen der letzten sieben Tage" oder so.
Angela Merkel wird nächste Woche Barack Obama in Washington treffen. Was sollte sie aus Amerika mitbringen?
Schlechte Nachrichten für ihre Braut FDP: Die obligate gesetzliche Krankenversicherung, die die FDP hier zerstören möchte, will die Obama-Administration gerade entwickeln. Wer dann in Deutschland noch Sozialstaat will, dem kann man ja sagen: "Geh doch nach drüben, wenns dir hier nicht passt". Den Spruch kennt Merkel vermutlich.
Jürgen Habermas hat seinen 80. Geburtstag gefeiert. Wie haben Sie gratuliert?
Undeutlich.
Das Magazin "Zapp" enthüllte Nebenverdienste von Nachrichtensprechern der öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn Sie das "heute-journal" moderieren würden und für einen Gastauftritt bei der Deutschen Bank 20.000 Euro kassierten, sähen Sie ihre Integrität gefährdet?
Die Honorare in diesen Jobs sind auch deshalb so gut, weil die nicht nebenher anschaffen gehen sollen. Das bekamen vor zehn Jahren Wickert bei TT und Hauser & Kienzle beim ZDF um die Ohren. Sabine Christiansen wurde medial aus dem Mercedes geholfen, und für ARD-Sportchefs war Handaufhalten zeitweise milieugerechte Straftat, Rotlicht-Milieu halt. Sich jetzt über einzelne KollegInnen herzumachen, ist wohlfeil: cui bono? Ich möchte da nicht nützlicher Idiot sein. Eine ARD, die die pestige Tour de France sponsert; ein ZDF, dessen "Wetten, dass" nur selten für Nichtschleichwerbung unterbrochen wird: Mal an den Kopf fassen, von dem her der Fisch stinkt.
Und was machen die Borussen? Nutzen bereits den verkaufsoffenen Sonntag in der zweiten Liga.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid