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Die WahrheitBlanco mit Sahne

Spektakuläre Transfers wie im Profifußball gibt es jetzt auch in der Welt der Musik. Ein aktueller Wechselbericht vom Festival Sternhagel in Würzburg.

Schlagerdinosaurier Roberto Blanco gibt jetzt den Punk Foto: dpa

„Yo, Bruder, geile Trompete, Bruder“, grunzt Philipp, nimmt einen Zug an seinem salzstangenlangen Joint und reicht ihn seinem Kumpel Anton. „Yo, Bruder, mega“, bestätigt Anton, inhaliert bis in die Zehenspitzen und fügt gepresst an: „Aber diese Stimme, Bruder. Das is doch nich Monchi! Erkennst du den Typen? Scheiße, Bruder, lass ma weiter nach vorne, Bruder. Oder is die Kiffe scheiße?!“

Auftakt beim „Sternhagel“-Punkrockfestival auf den Zellerauer Mainwiesen in Würzburg. Gegenüber die Weinberge, weiter hinten die Wallfahrtskirche Käppele. Wein, Weihrauch und Gebrüll – was will man mehr? 20.000 Leute tummeln sich auf dem sommerlich verbrannten Gras. Das Line-up liest sich wie das Who is Who der Crème de la Crème deutscher Krachmusikveteranen: Headliner sind Rammstein, die Söhne des Ost-Punks. Zuvor geben sich unter anderem die Ärzte und die Toten Hosen die Ehre.

Das eintägige Festival läuft diesmal etwas anders ab als in den Vorjahren. Kaum haben Feine Sahne Fischfilet als Opener die Bühne geentert, steht all jenen im Publikum, die mal wieder nichts mitbekommen haben, weil sie das Verfolgen von Kulturnachrichten für eine würdelose Boomermacke halten, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Denn Anton im Publikum hat recht: Das ist nicht Monchi, der FSF-Lieblingslinke, der „Wir kommen in Frieden“ ins Headset jault, sondern … „Bruder, der sieht ja aus wie … wie … Ro … Ro …“, keucht Anton. „Yo, Bruder, sieht voll aus wie Roberto Blanco“, kichert Philipp.

Kenner der jüngsten sensationellen Nachrichten wissen: Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) hinterlässt überall seine Duftmarken. Jetzt hat er sich die Musikbranche vorgeknöpft und setzt auf Sportification. „In einer Welt des Wandels ist es unzeitgemäß, wenn Bands Jahr für Jahr in derselben Besetzung antreten“, deklamiert er auf X. „Damit befördern sie die toxische Schnarchig­keit der Deutschen. Ab sofort führen wir – Vorbild Profifußball! – Transferperioden ein. Alle deutschen Bands sind angehalten, ihr Personal routinemäßig upzudaten. Freiwilliges Mitmachen ist Pflicht.“

Powerfrau mit Lampenfieber

Judith Holofernes feiert ihr Comeback bei den Beatsteaks. Auf der Würzburger Bühne möchte sich die Ex-Wir-sind-Helden-Powerfrau für die neue deutsche Transferpflicht bedanken. Vor lauter Lampen­fieber fällt ihr der Name Wolfram Weimer nicht ein. Stattdessen ruft sie: „Danke für die tolle Idee, Mutter Beimer!“

Anschließend performed sie mit den Beatsteaks den Scorpions-Ohrwurm „Wind of Change“ – als Punkklopper. Am Rande bemerkt: Klaus Meine, Wind-of-Change-Alleininhaber und langjähriger Mr. Scorpions, wurde ebenfalls vom Wechselfieber gepackt. Ihn verschlug es zur Scorpions-Tribute-Band Blackout, wo er sich selbst covert. Seine Begründung für den kühnen Schritt: „Mit meinen 93 muss ich kürzertreten. Hab ich mir jedenfalls auf die Alkoholfahne geschrieben.“

Wie hielt man das früher aus, dass die Bands in der ewig gleichen Besetzung auftraten? Welch ein ödes, spießiges Festival­leben. Wie aufregend dagegen das Sternhagel: Die Ärzte entpuppen sich als Die Toten Hosen, die komplett zu den Ärzten übergelaufen sind. Die Hosen wiederum sind von einem Hedgefonds gekauft worden, bei dem Ahnung und Reichtum in umgekehrt proportionalem Verhältnis zueinanderstehen und der auf dem Transfermarkt an sich rafft, was zu raffen ist, weshalb die neuen Hosen aus den Kaulitz-Brüdern, Helene Fischer, H. P. Baxxter, Roland Kaiser sowie einem der vier Ronnys von Pisse bestehen, der Post-Punk-Band aus Hoyerswerda.

Gelassenheit beim Publikum

Was drauf steht, ist nicht mehr drin. Was drin ist, steht noch nicht drauf. Das Festivalpublikum nimmt’s gelassen, denn wenn nichts mehr so ist, wie es mal war, kann man davon ausgehen, dass bald nichts mehr so sein wird, wie es gerade ist.

Die kratzige Neu-Hosen-Version „Hedgehammer“ des Achtzigerjahrehits von Peter Gabriel erntet heftigen Applaus. Alt-Hose und Neu-Arzt Campino diagnostiziert backstage, ein Haufen Galaktischer sei nicht zwingend ein gutes Team. Angeblich verweigert Roland Kaiser schon die Probenarbeit, um einen Wechsel nach Saudi-Arabien zu erzwingen, das mit einem Milliardenvertrag für den Lungenschwachen winkt. Dort würde er die Originalärzte treffen. Sie sind das neue Herzstück der in Dschidda beheimateten Melodic-Death-Metal-Band Wasted Land und hausen in einem Palast aus Gold.

Dann endlich: Rrrrrrammstein! Wer noch nicht umgekippt ist wegen der Sommerhitze oder der Drogenzufuhr reibt sich beim Auftritt des Headliners die Augen. Die Band hat den – bis zum Schluss geheim gehaltenen – Königstransfer des Sommers getätigt: Sie verpflichtete die Feine-Sahne-Haube Monchi.

Till Lindemann, Ex-Rammstein-Oberramme, hingegen tingelt aktuell als Roberto Blanco deutschlandweit durch Eckkneipen. Eine andere Stelle war nicht mehr frei. Kopf hoch, Lindemann! Die nächste Transferperiode kommt bestimmt!

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