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Die WahrheitBrei verderben im Alleingang

Überall und allerorten Quereinsteiger – das ist auch ein Weg für die überforderte Gesellschaft, alles abzubrennen bis auf die Grundmauern.

Das kriegt jeder ahnungslose Rührer hin: roter Brei Foto: Reuters

Mehrere mir persönlich bekannte Autoren sind jetzt Lehrer geworden. Vom Schreiben zu leben ist nun mal schwierig, es sei denn, man hieße Clemens Meyer oder Dirk Rossmann – die beiden alle anderen überstrahlenden Lichtgestalten der deutschen Literatur.

Ich bin durchaus voll der Bewunderung für die frischgebackenen Quereinsteiger. Denn ich könnte das im Leben nicht. Eher würde ich mir den kleinen Finger abhacken, als mich von frechen und bösartigen Schratzen zu Tode mobben zu lassen. Der bloße Gedanke daran brennt mich aus bis auf die seelischen Grundmauern. Ich würde mich bereits vor dem Arbeitsantritt dauerhaft krank melden. Am besten bis zur Verrentung. Immerhin das hat was von einem echten Lehrer.

Die Kollegen wiegeln dann immer bescheiden ab, man müsse eigentlich nur ein paar Stunden am Tag darauf achten, dass sich die kirren Zwerge nicht gegenseitig abmurksen. Alles andere sei so leicht, wie einem Fisch das Schwimmen beizubringen.

Zum Glück komme ich mangels abgeschlossenen Hochschulstudiums gar nicht in die Versuchung, denn das ist bislang noch immer die Grundvoraussetzung für den Quereinstieg ins Lehramt. Aber wer weiß, womöglich nehmen sie irgendwann ja alle, die lesen und schreiben können, und noch später diejenigen, die es zwar nicht können, aber es immerhin sich selbst beizubringen in der Lage sind. Das wäre dann zugleich das Gesellenstück. Am nächsten Tag können sie anfangen: Algebra, Latein, Gedicht­interpretation.

Mangel in allen Berufen

Ohnehin wird es in Zukunft noch viel mehr Quereinsteigerberufe geben. Der allgemeine Personalmangel macht es möglich. Zum Beispiel in sämtlichen Handwerksberufen. Lehrlinge sind schwer zu finden – da sollte man am besten einfach alle zulassen, die Bock haben. Man muss eben nur ein bisschen länger rumprobieren als so ein klassisch ausgebildeter Handwerker. Hauptsache, man bekommt das Werkzeug und genügend Zeit. Meister wird, wer über einen lückenlosen Satz Maulschlüssel verfügt.

Auch Arzt oder Ärztin kann bald jeder werden – das ist ja auch wirklich kein Hexenwerk. Man muss nur zuhören können. Wenn jemand „Aua“ sagt, weißt du, dass ihm etwas wehtut. Grundregel. Dann fragst du: Wo tut es weh, wie tut es weh und warum tut es weh. Was anderes machen die Leute, die Medizin studiert haben, ja auch nicht.

Da wird nur immer so ein geheimnisvolles Getue drum gemacht, Frau Doktor hier und Herr Doktor da und Heititei. Eine Omertá der Schaumschlägerei – nicht zum Aushalten. Es wird höchste Zeit, dass solche über Jahrhunderte aufgeblasenen Mythen vom „Halbgott in Weiß“ von uns Quereinsteigern wieder auf ein Normalmaß heruntergestutzt werden.

Wenn dann umgekehrt die blöde Frage kommt, was das denn wohl für eine Krankheit sein könne und was man dagegen zu tun gedächte, ätzt man die Patienten in süßsaurem, passiv aggressiven Tonfall an: „Ach, lassen Sie mich das doch bitte schnell für Sie googeln.“ Damit beschämt man sie in ihrer Denkfaulheit: Denn natürlich können sie das auch selbst recherchieren, schließlich hat jeder heutzutage einen Computer zu Hause. Und ich hab Besseres zu tun; ich bin nun mal Arzt und nicht IT-Berater für Senioren.

Viele Köche verderben den Brei? Na, da werden sich aber so einige wundern, wie gut erst mal ein einzelner Koch allein den Brei verderben kann. Denn in Kürze werden auch in der Gastronomie zahllose Quereinsteiger ihre Jobs antreten, vom Imbiss bis zum Drei-Sterne-Restaurant. Was kann daran schon so schwer sein? Topf auf den Herd, Zutaten rein, Umrühren, fertig.

Kochen mit Ehrlichkeit

Ein für alle Mal Schluss mit den prätentiösen Spitzenköchen und ihrem raunenden Gedöns. Ein Prischen von dem, ein Stäubchen von jenem und eine kleine Messerspitze Zwinkerzwinkernichtverraten. Ihre Nebelkerzen können sie selbst fressen – stattdessen hält nun eine neue Ehrlichkeit Einzug in die Kochkunst. Dieses ganze Ausbildungsgetünsel ist so gnadenlos überschätzt. Ein bisschen Motivation, guter Wille und gesunder Menschenverstand – und fertig ist die Laube.

So werden kurz vor der Rente auch bei meinesgleichen endlich Kinderträume war. Zoowärter, Astronaut, Feuerwehrmann, Polizist werden? Kein Problem. Dem Quereinsteiger gehört die Welt. Ein paarmal den „Tatort“ gesehen, eine zehnminütige Einführung in die SIG Sauer P6 und schon geht es auf die Straße.

Ich sehe so geil aus in der dunklen Uniform, dazu Sonnenbrille, Stichschutzweste, ein Polizeiauto, ein Pferd und einen scharfen Hund. Der Job ist im Grunde selbsterklärend: Sobald jemand irgendwo was klaut, falsch parkt oder bei Rot über die Ampel geht, schießt man eben. Wie man bei der Knarre das Magazin wechselt, haben sie mir ja gezeigt.

Andere Quereinsteigerberufe haben bereits deutlich mehr Tradition, auch wenn die Abschlüsse nicht anerkannt werden und die Entlohnung entsprechend auf dem Nullniveau verharrt: Militärexperte, Virologe, Fußballbundestrainer oder Nahostspezialist – sie alle zeigen, dass dem Learning by Doing die Zukunft gehört, und sei es vorerst nur in den sozialen Medien.

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1 Kommentar

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  • Tja, liebe Boomer, jetzt rächt sich halt euer Geiz. Ihr wart zu faul und zu geizig, Kinder in die Welt zu setzen und vor allem großzuziehen. Wenn man Tätigkeiten von qualifizierten Kräfte ausgeübt haben möchte, muss man Menschen qualifiziert haben. Das dauert in unserer komplexen Welt mittlerweile 25 Jahre, darauf hattet ihr keinen Bock. Selbstverwirklichung war ja wichtiger. Ihr wart nicht nur zu faul, selbst für Nachwuchs zu sorgen, ihr wart auch zu geizig, wenigstens den von Eltern zu qualifizieren, die das selbst mangels eigener Qualifikation nicht konnten.

    Jetzt sollen es Menschen richten, die Gesellschaften anderswo mit viel Mühe qualifiziert haben. Kolonialismus 2.0. Früher hat man die Rohstoffe abgegriffen, heute sind es die Fachkräfte. Dabei hat man sogar noch die Frechheit, sich moralisch als besonders integer vorzukommen.