Die Wahrheit: Die Diebe des C
Vitaminforschung versus rechte Fake News: Migration an Vitaminraub unschuldig! Sagt die Wissenschaft. Die muss es ja wissen.
Es ist eine Sensation für Gesundheitsbewusste, eine Revolution für die Ernährungsmedizin – und eine bahnbrechende Entdeckung für die aktuelle Migrationspolitik: Flüchtlinge nehmen uns überhaupt nicht einen Großteil unsere Vitamine weg! Außerdem wurde in diesem Zusammenhang beobachtet, dass Vitamine relativ häufig andere Vitamine enthalten, so Forscher der Universität Troisdorf. Das bedeutet unter anderem, dass sich zum Beispiel in Vitamin B12 auch jede Menge Vitamin C befindet. Oder Vitamin E in Vitamin D. Man müsse nur mal genauer danach schauen, zum Beispiel mit einer neuen Gleitsichtbrille oder einem geeigneten Vergrößerungsglas, verriet die Pressestelle der Universität auf Anfrage.
„Unser Forscherteam“, sagt Vitaminforscher Dr. Roland Fallingbostel, der auch Tage nach der aufwühlenden Entdeckung noch vor Stolz strahlt, „wollte das Geheimnis der Vitamine und insbesondere ihrer Wirkungsweise erkunden.“ Nebenbei wollten die Wissenschaftler einmal nachzählen, ob in den Früchten noch alle Vitamine vorhanden seien. In den sozialen Medien hatte es massenhaft Meldungen gegeben, dass irreguläre Migranten uns unsere Vitamine aus Obst und Gemüse rauben würden.
„Deshalb haben wir uns im Supermarkt ein paar Beutel voller Vitamine geholt und sie detaillierter unter die Lupe genommen“, berichtet Dr. Fallingbostel. „Wir stellten aber fest, dass eine Lupe nicht reicht. Wir brauchten vielmehr ein sehr gutes Mikroskop, wie Naturwissenschaftler es in der Regel verwenden.“
„Das ist korrekt, und zwar ein Elektronenrastermikroskop“, sagt seine Kollegin Dr. Dr. Elvira Wachinowa, die sich mit Fallingbostel das Büro im modernen Neubau des Troisdorfer Instituts für Vitaminstudien teilt. Mit einem sehr guten Elektronenrastermikroskop, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bereitstellte, zählte das Team in wochenlanger Arbeit schließlich nach, dass alle Vitamine weiterhin vollständig vorhanden waren – trotz der Gerüchte vom rechten Rand (CDU, FDP).
Überraschend identifizierten sie zudem den Sitz der Vitamine mitten in den Schalen der Vitamine. „Et voilà, da hatten wir sie!“, lächelt die Forscherin im weißen Kittel über den Rand ihrer schwarzen Hornbrille hinweg.
Fake
Die Fake-Nachricht, dass geduldete sowie illegale Flüchtlinge für krasse Vitaminverluste vor allem in Kiwis und Kürbissen verantwortlich seien, war von rechtsradikalen Influencern und AfD-Abgeordneten auf Tiktok gestreut worden und von Politikern der sympathisierenden Mitte (SPD, Grüne) in den sozialen Medien weiterverbreitet. Die Quatschbehauptung kann nun als widerlegt gelten.
„Aber so wie viele Menschen immer noch nicht wissen, dass sich die meisten Vitamine in der Schale von Obst und Gemüse versteckt halten, hatten wir Wissenschaftler bisher die Schalen der Vitamine immer weggeworfen“, gesteht Dr. Dr. Wachinowa. Während in der Laborküche zwar eifrig Pellkartoffeln gekocht und ungeschälte Äpfel geknabbert wurden, war die Lösung vieler Probleme der Vitaminwissenschaft stets dem Biomülleimer überantwortet worden.
Bis zu dem besagten Tag! „Gute Wissenschaft mit Heureka-Erlebnissen hat immer auch mit Glück zu tun“, lächelt Dr. Dr. Wachinowa. „Dass unsere neue Kollegin Dr. Shirley Shelby die Schalen der Vitamine, die sie normalerweise gleich wegschmeißt, noch einmal eigens unters Mikroskop gelegt und untersucht hat, wird uns vielleicht den Nobelpreis einbringen“, frohlockt die doppelte Doktorin.
„Die Schalen mit den daran haftenden Vitaminfleischresten wurden nämlich von Dr. Shelby zentrifugiert, kleingemahlen und mit der Protonenkanone beschossen“, berichtet Fallingbostel. „Dabei explodierte das entstehende Gemisch und gab sein Geheimnis frei. In den Zellwänden von Vitamin B7 hatten sich die anderen Vitamine versteckt, in diesem Fall die Vitamine B1, B2 und E. Es klingt unglaublich, und ich will sie mit den Details nicht langweilen, aber jetzt war die Sensation halt perfekt.“
Für den derzeitigen politischen Diskurs, der ihrer Meinung nach hysterisch um Fragen der Migrationspolitik kreist, hält Dr. Dr. Wachinowka deshalb eine wichtige Erkenntnis bereit: „Niemand kann Vitamine so einfach aus Obst und Gemüse rausfressen, wie das zuletzt immer wieder Flüchtenden aus aller Welt unterstellt wurde. Dafür sitzen die Vitalstoffe viel zu tief in den Vitaminschalen.“
Hirnis
Indes bezweifelt sie, ob ihre Wissenschaftssensation tatsächlich den Strom der Falschbehauptungen über den angeblichen migrantischen Vitaminraub stoppen kann: „Die rechten Hirnis ignorieren Fakten ohnehin. Die glauben einfach, was sie wollen, oder verdrehen die Botschaft total.“
So hatte ein AfD-Landrat bei X bereits gehetzt, dass sich die Vitamine in ihren Schalen so gut versteckten wie entflohene Flüchtlinge vor der nicht vorhandenen Polizei – für ihn der letzte Beweis, dass der Staat jetzt auch noch die Kontrolle über seine Agrarprodukte verloren habe.
„Wir Wissenschaftler hoffen natürlich, dass sich Aufklärung und Vernunft durchsetzen“, sagt die Forscherin nachdenklich. „Aber eigentlich interessiert sich kein Schwein dafür, weder bei den politischen Entscheidern da oben, noch bei der Normalbürgermehrheit. Wenn Trump, Musk oder Oliver Pocher dieses Gerücht vom Vitaminraub durch islamistische Messermänner in die Hand kriegen und in ihre Kanäle einspeisen – dann aber gute Nacht, Deutschland!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren