Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann
… tja, wie sagt mans eigentlich, wenn man "es" nicht sagen will? Bis in die frühen siebziger Jahre gab es überhaupt keine Homosexuellen, keine "offenen", keine "bekennenden". ...
... Außer denen, die "kriminell" waren, "krank" oder "pervers". Das waren die einzigen Zusammenhänge, die die Zuschreibung erlaubten, ansonsten behalf man sich mit Adjektiven wie "sensibel", um zu kennzeichnen, dass hier einer anders war als die anderen. Oder - die gebräuchlichste aller Verschleierungen - er war ein "Junggeselle".
Nach den vielen "Offenen" und "Bekennenden" der Neuzeit glaubte man, mit derlei Mimikry sei es vorbei. Pustekuchen, seit vergangener Woche geistert wieder so ein "Junggeselle" durch die Weltpresse, Tim Cook, neuer Chef des zweitgrößten Unternehmens der Welt und Nachfolger des Apple-Gründers Steve Jobs. Der 50-Jährige ist schwul, aber keiner will darüber schreiben, da muss ein einfaches "Junggeselle" (Spiegel Online) reichen, schließlich hat der Mann eine Voraussetzung im Mediensprech-Zirkus nicht erfüllt, er hat sich nicht "bekannt". Das heißt nicht, dass niemand davon weiß, bei Apple ist es bekannt so wie im ganzen Silicon Valley, und das auflagenstärkste Schwulenmagazin der USA, Out, setzte Cook im vergangenen April auf den ersten Platz seiner alljährlichen Liste der fünfzig mächtigsten Lesben und Schwulen, "The Power 50". Gleich mit seiner ersten Nominierung eroberte sich Cook diesen Listenplatz, vor der TV-Moderatorin Ellen DeGeneres und dem CNN-Journalisten Anderson Cooper.
Also, die Weltpresse hätte es wissen können, dass Cook schwul ist, hat aber diese Information - diskret, wie Journalisten nun mal sind - ihren Lesern vorenthalten. Schließlich ist der Mann ein seriöser Wirtschaftsboss und kein Entertainment-Clown. "Wenn man meint", schreibt der kanadische Journalist und Blogger Joe Clark, "es sei falsch, über schwule Prominente zu berichten, dann will man, dass Schwule weiter versteckt bleiben und dass Journalisten nicht die Wahrheit berichten."
Im Januar 2011 berichtete das Blogger-Netzwerk "Gawker" erstmals über den schwulen Cook, in weiser Voraussicht, dass der Mann als künftiger Jobs-Nachfolger dereinst eigene Geschichte schreiben wird. Als gar nicht glamourös wird er da geschildert, ein Workaholic und sportbegeistert, ein Bob-Dylan-Fan, wie sein Vorgänger, und - Höhepunkt der schwulen Geschichte - ein Freund asiatischer Männer.
Und jetzt - so der renommierte Wirtschaftsjournalist Felix Salmon - ist Cook der mächtigste schwule Mann der Welt. "Das kann und muss gefeiert werden", so Salmon weiter: "Als schwules Rollenvorbild ist Cook ein Glücksfall: Er ist kein schriller Design-Guru, sondern ein langweiliger Organisator von Arbeitsabläufen und widersetzt sich damit jedem Klischee." So manches Unternehmen, führt Salmon seinen Kommentar fort, würde gern verheimlichen, wenn einer seiner führenden Mitarbeiter schwul ist. "Aber es ist wirklich nicht die Aufgabe der Medien, diese Art der Stigmatisierung fortzusetzen."
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